miniportion 373: guppes

Guppes im Haus Töller, Köln 2014

Guppes im Haus Töller, Köln 2014

„Du jehst hier dursch“, sagt der Mann im Kontörchen, der zentralen Kontrolleinrichtung am Eingang der Kölner Brauhäuser, aus der unter anderem der Bierverkauf an die Köbesse koordiniert wird, „dann hinter der Tür d’rekt links, dat is Eure Tisch!“ Wir folgen seinen Anweisungen, a) weil wir nach einer kreativen Sitzung Hunger haben und b) weil man Anweisungen in einem Brauhaus eigentlich immer widerstandslos befolgen sollte. Die in einem schweren Messinghalter aufgestellte Speisekarte besteht aus kölschen Klassikern, von denen die meisten mit einem Sternchen versehen sind, das auf hauseigene Produktion verweisen soll. „Was steht denn auf der Tageskarte?“ fragt Freund J., der aufgrund der häuslichen Nähe des Öfteren in diesem Etablissement verkehrt. „Guppis oder so“, berichtet Freund D., nachdem er von der Erkundung um die Ecke zurückkommt. Da sind wir erst einmal ratlos. Nach der erste Runde Kölsch und dem Hinweis, die Bierdeckel nicht kaputt zu machen, kommt der Köbes zurück, um unsere Bestellungen aufzunehmen. Wir bestellen Rheinischen Sauerbraten mit Klößen, Schnitzel mit Bratkartoffeln, Roastbeef mit Remoulade und Himmel un Ääd. „Eine Frage noch“, rufe ich dem im blauen Hemd Mann hinterher, der sich trotz einer gewissen Leibesfülle leichtfüßig mit seinem Blechkranz durch den vollen Laden schlängelt. „Das klingt vielleicht jetzt nicht unbedingt lecker“, sagt er, „aber das ist lecker! Krautsalat mit Gulasch.“ Ich mache aus meinem Sauerbraten kurzerhand eine Portion Guppes und Freund M. fragt, was denn der Name bedeute. „Hier musste dichten könne“, lautet die eher kryptische Antwort des Kellners. Eine Viertelstunde später steht ein goldberandeter Suppenteller mit hausgemachtem Krautsalat vor mir, der auch ohne Sternchen als hausgemacht durchgeht. Darauf eine großzügige Portion Rindsgulasch und zwei dicke Scheiben Graubrot. Der Köbes hat – wie immer recht – klingt nicht besonders lecker, ist es aber!

miniportion 372: weiße limo

Weiße Limo auf Dänisch, Padborg 2014

Weiße Limo auf Dänisch, Padborg 2014

In meiner Jugend besuchte ich einmal die Karl May-Festspiele in Elspe. Das liegt bei Olpe im Sauerland und außer den besagten Aufführungen auf dem Kalkriff der sogenannten Attendorn-Elsper Doppelmulde gibt es dazu nicht sonderlich viel zu sagen. Aber in Kombination mit einem Autogramme verteilenden, vermutlich aus Ostdeutschland stammenden Indianer und einem spektakulären Auftritt von Pierre Brice reichte das schon aus, um den Ausflug zum Höhepunkt der Ferienspiele zu machen. An viel mehr Details kann ich mich leider nicht mehr erinnern, was der inzwischen vergangenen Jahre geschuldet ist und vielleicht auch der Tatsache, dass Karl May mich trotz der vielen spärlich bekleideten Männer nie besonders interessiert hat. Lediglich Miranda ist mir im Gedächtnis geblieben, eine etwas dralle und ebenso resolute Saloon-Besitzerin, die, wenn ich mich recht erinnere, während des Stücks von den Indianern entführt wurde oder so etwas in der Art. Damals verwechselte ich in der Aufregung das „a“ ihrem Namen mit einem „i“ und fragte mich, was das für Eltern sein müssen, die ihr Kind nach einer Limonade benennen. Aber in diesem Eintrag soll es weder um jene Miranda noch um ein Orangenfruchtsaftgetränk namens Mirinda gehen, die übrigens spanischen Ursprungs ist und deren Markenbezeichnung auf Esperanto so viel wie „wunderbar“ bedeutet. Stattdessen ist dieser Text allen authentischen Zitronenkracherln gewidmet, die in der Familie meines Mannes traditionell als „weiße Limo“ bezeichnet werden. Diese Konvention sorgte in der Anfangsphase unserer Bekanntschaft hin und wieder für Irritationen, weil ich mir unter einer weißen Limonade allenfalls ein wenig attraktives Milchmixgetränk vorstellen konnte. Heute aber, weiß ich was gemeint ist und nutze den Ausdruck manchmal selbst, wenn es mal schnell gehen muss. Vermutlich bin ich aber der einzige Mensch, der Miranda zu gelber Limonade sagt.

miniportion 371: rosado

Französisch, deutsch oder spanisch?, Köln 2014

Französisch, deutsch oder spanisch?, Köln 2014

Auf meinem Weg nach Dänemark steigen in Dortmund zwei ältere Herren in den Zug und finden nach einigem Hin und Her ihre reservierten Plätze bei mir am Tisch. Beide tragen bunt gestreifte Hemden, einen elegant um den Hals geschlungenen Schal, eine Steppweste in einer bunten Farbe und eine Daunenjacke in einer anderen bunten Farbe. Dazu ebenso bunte Hosen. Alles in allem changiert das Ensemble zwischen stahlblau über ein sattes gelb und orange bis hinzu einem leuchtenden Rot. Nachdem das Gepäck und die Jacken sicher verstaut sind, wird aus einem eher unscheinbaren Stoffbeutel der Proviant für die Fahrt bis Hamburg – so verrät es die elektronische Reservierung über den Sitzen – auf dem Tisch ausgebreitet. Papiertüten einer Bäckereikette mit Brötchen mit Fleischwurstbelag und solchen mit Mett und Zwiebeln. Außerdem der „Generalanzeiger – Zeitung für Dortmund“ und die aktuelle Ausgabe der „Bild“, unter anderem mit der Schlagzeile: „Macht die Mikrowelle unsere Vitaminen kaputt?“. Etwas umständlich hantiert der Herr neben mir in der Ritze zwischen Sitz und Fenster, während sein Gegenüber mit einer Bekannten telefoniert und ihr mitteilt, dass mit der Hüfte nun doch alles in Ordnung sei. Aus dem Augenwinkel erkenne ich, dass neben mir gerade heimlich eine Flasche Freixenet Rosado geöffnet wird. Aus dem Beutel werden zwei Sektflöten und ein Sektflaschenverschluss aus rotem Plastik hervorgeholt. Wiederum aus den Augenwinkeln erkenne ich, dass die beiden eigentlich nur an der Farbe ihrer Augenbrauen zu unterscheiden sind. Es sei denn, man würde versuchen, sich das komplizierte Farbschema zu merken. Kurz hinter Osnabrück ist die Flasche schon so gut wie leer und die Finger ordentlich mit einem Erfrischungstuch von den Metteresten gereinigt. Bei der Fahrkartenkontrolle sagt der Schaffner: „Das sieht ja schon mal gut!“ und ich bin mir nicht sicher, ob er nun die farbliche Vielfalt, das Sektfrühstück oder doch bloß die Fahrkarte meint.

miniportion 370: granny smith

Frutas sana, gente sana, Madrid 2010

Frutas sana, gente sana, Madrid 2010

In Köln gibt es ein sehr angesagtes Bäckerei-Café in dem sehr viele schöne, junge und erfolgreiche Menschen mit Kinderwagen verkehren und wo immer eine große Schale mit glänzenden grünen Äpfeln auf einer Ecke des angesagten Tresens steht. Man weiß eigentlich nicht genau wofür. Vielleicht, damit die schönen, jungen und erfolgreichen Menschen nicht dagegen laufen, vielleicht aber auch als kleines Geschenk für die Gäste – damit sie auch wiederkommen. Die armen Äpfel werden aber von einem Großteil der Kunden einfach ignoriert. Vielleicht weil sie nach einem riesigen Stück Bienenstich oder einer Gulaschsuppe im Röggelchen keine Lust auf einen säuerlichen Apfel haben, vielleicht aber auch wegen der nahezu unheimlich frischen grünen Farbe.

Dabei ist die ja eigentlich das Kennzeichen der Sorte, die wenn man sie übersetzt auch sehr gut aus dem Rheinland stammen könnte, die aber gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Australien entdeckt wurde und vor dem Einsatz als Kundenstopper vor allem zum Backen verwendet wurde. Hauptanbaugebiet sind laut Wikipedia Gegenden in Südeuropa und an der Westküste der USA mit sehr langen Wachstumsperioden. Das wird wohl stimmen, denn obwohl ich ja immer ein offenes Auge für den Obstanbau habe, ist mir noch nie ein Granny Smith-Baum untergekommen.

Man sagt ja, dass man einmal im Leben einen Apfelbaum gepflanzt haben sollte. Die Konsequenzen bei Nichtbeachtung sind mir nicht deutlich, aber zum 60. Geburtstag meiner Mutter schenkten wir ihr eine Rote Sternrenette, die sich als ziemlich unmotiviertes Gewächs entpuppte. So nahm sie sich exakt zwölf Jahre Zeit, um uns einmal mit einer handvoll Blüten zu entzücken. Was keinesfalls bedeutet, dass sie sich bequemen würde uns auch nur kleine Äpfelchen zu schenken. Das dauert vermutlich wieder eine halbe Generation. Vielleicht hätten wir es doch mit Granny Smith versuchen sollen, oder noch besser mit Oma Schmitz.

miniportion 369: rote bete

Rote Bete auf dem Markt, Berlin 2008

Rote Bete auf dem Markt, Berlin 2008

Manchmal liegen das ganz gewöhnliche und das sehr besondere irgendwie dicht beieinander. Früher zum Beispiel im Vorratskeller meines Elternhauses. Da gab es nämlich ein Regal, neben der hölzernen Kartoffelmiete, in dem ein paar Flaschen Wein gelagert wurden. Unter anderem die beiden Flaschen Mersault, die meine Eltern während eines Urlaubs in Burgund für ihre Kinder gekauft hatten. Damals hatte man nämlich ein bisschen was angelegt und jeweils eine Flasche aus dem jeweiligen Geburtsjahrgang angeschafft, die, so wollte es die dazugehörige Gebrauchsanweisung, getrunken werden sollte, wenn wir dereinst einmal heiraten würden. Davor aber stand immer ein kleines Fässchen aus Steingut, in dem meine Mutter die im Garten angebaute Rote Bete süßsauer einlegte.

Diese Konservierungsmethode war lange Jahre die einzige Form, in der ich mir das Gemüse überhaupt vorstellen konnte. Damals gab es nämlich noch keine vorgekochten, Bio-Bete im Supermarktregal und auch unglaublich delikate Rote-Bete-Macarons als Krönung von Amuse-gueule-Portionen waren – zumindest mir – noch vollständig unbekannt.

Jahre später buk ich einmal einen Rote-Bete-Kuchen mit Schokolade, dessen Rezept ich aus einem sehr modernen Buch über Food-Trends entnommen hatte. Eigentlich fand ich das Ergebnis passabel, hätte ich nicht in einem anderen sehr modernen Buch über Food-Trends gelesen, dass rote Bete in Kombination mit süßen Zutaten, vor allem in Schokoladen-Rote-Bete-Kuchen ja nun überhaupt nicht ginge. Seither versuche ich immer abzuwägen, zu welcher Fraktion meine Gesprächspartner gehören könnten, bevor ich mit der einen oder der anderen Überzeugung aufwarte.

Zu einer Hochzeit, zumindest im klassischen Sinn, ist es übrigens aus diversen Gründen bislang noch nicht gekommen, die Flaschen lagern meines Wissens noch immer bei meinen Eltern (auch wenn diese nun keinen Keller mehr haben) und die Rote Bete werden nach wie vor eingelegt. Manche Dinge brauchen eben eine Weile.