ethnografische notizen 116: foodcamp oberpfalz (8/9) – 4 tage

Improvisierte Lightbox beim Foodcamp Oberpfalz, Regensburg, November 2015

Improvisierte Lightbox beim Foodcamp Oberpfalz, Regensburg, November 2015

„Foodcamps“, so schreibt der geschätzte Blogger-Kollege Joerg Utecht auf Facebook, „sind die Krone der sozialen Kulinarik.“ Das könnte man vermutlich nicht besser ausdrücken, denken die, die dabei waren. Für alle anderen hingegen gibt es da eine Menge zu erklären.

Als ich nach vier Tagen in der Oberpfalz und Ostbayern vollkommen übernächtigt und ausgekocht wieder zuhause bin, habe ich viel zu erzählen. Notizbuch, Festplatte und Kopf sind voll von Eindrücken, Anekdoten, Fotos, Gesprächen und Textfragmenten. Gerüche, Aromen und Texturen. Vier Tage im dauerhaften Ausnahmezustand. Und mit ebenso vielen Fragen werde ich konfrontiert. Was dass denn bedeuten solle, ein Foodcamp? Mit wem ich unterwegs gewesen sei, möchten Familie und Freunde wissen, ob ich die Leute vorher gekannt habe. Wer das organisiert und bezahlt habe. Und wie ich denn überhaupt dazu komme.

Anfang Oktober bekomme ich von Torsten Goffin eine Nachricht auf Facebook. Ob ich im vergangenen Jahr das „Foodcamp Franken“ wahrgenommen hätte. „Falls nicht, bitte mal schnell googeln, um dir einen Eindruck zu verschaffen. Weil ich dich gerne zum Nachfolgecamp dieses Jahr einladen möchte. Facts ’n figures: 14.-17.11 in Regensburg, Hammerprogramm mit viel Biercontent, abends kochen mit anderen Bloggern.“ Das klingt so gut, dass ich umgehend zusage. Und gleichzeitig so unvorstellbar, dass ich erst, als ich mittendrin stecke, eine Vorstellung davon bekomme, worum es eigentlich geht. Es folgen viele Facebook-Nachrichten und dann endlich eine geheime Gruppe. Nix auf Papier, keine Einladung, keine Anmeldung und auch kein Programm. Letzteres suche ich mir kurz vor der Abfahrt aus unzähligen Posts zusammen und schreibe es auf ein Blatt Papier. Mehr, um mich selbst zu beruhigen.

Im ICE gebe ich eine lustige Durchsage der bayerischen Ansagerin per Twitter weiter. @jungspund antwortet: „Sitzen wir im gleichen?“ „Vermutlich“, schreibe ich zurück, „dann sehen wir uns gleich am Bahnsteig.“ Auf dem Weg im Taxi ein erster Austausch und ich bin beruhigt, dass Sebastian genauso wenig wie ich eine Vorstellung davon hat, was uns konkret erwartet.

Und dann bricht der WhatsApp-Wahnsinn über uns herein. „Die Einkäufer gehen jetzt mal in die Stadt“, schreibt Florian, während wir noch im Hotel sind, „wir melden und zwischendrin.“ Es dauert keine fünf Minuten und aus dem In- und Ausland gehen die Bestellungen ein. „Würde mich für Wurzeln jeglicher Art, Blutwurst und Speck (gerne auch Endstücke zum Auskochen) interessieren…/Geil Ente!!!/Vielleicht Ente räuchern?/Jaaaaa/Räuchermehl jemand dabei?/Quitten. kann gerne mit euch eine türkische Süßspeise damit machen./Bauchspeck und Hals!/Enten sind aus/Ziegen Habenseite/Schwarzwurzeln wären schön/Innereien?/Habe Bio Yuzu Saft dabei. Käme gut mit Schwarzwurzel/Innereien Montag/Hab ne Wildsau in Variation gekauft!/Ente und Fisch kommen morgen! …“

„Am besten einfach einmal alles kaufen!“, schreibe ich und frage mich, wie aus diesem Chaos jemals eine geordnete Mahlzeit entstehen soll. Und gleichzeitig bekomme ich eine erste Ahnung, warum das trotzdem funktionieren könnte. 30 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus den unterschiedlichsten Branchen, mit den unterschiedlichsten Perspektiven und persönlichen Erfahrungen. Bloggerinnen und Autoren, Werber und Fotografinnen, Filmproducer und Radiojournalisten. Und ein Thema was sie verbindet – Essen und Trinken.

Und es funktioniert! Bei den gemeinsamen Mahlzeiten in den Restaurants und Gaststätten, bei den Besuchen in Brauereien, bei der Fischereigenossenschaft und im landwirtschaftlichen Betrieb eines Benediktinerklosters – und vor allem beim gemeinsamen Kochen. Unsere Leidenschaft für gutes Essen bringt uns zusammen und lässt im Handumdrehen uns zu einer verschworenen Gemeinschaft auf Zeit zusammenwachsen. Wir alle brennen auf Neues und wir alle sind froh, unsere Passion einmal nicht erklären zu müssen. Nicht, warum wir den lateinischen Namen der Sake-Reissorten kennen und auch nicht, warum wir selbstredend Herz, Zunge und Niere des gerade geschlachteten Schweins probieren wollen. Und während am Samstag hier und da noch die Reviere abgesteckt und die Deutungshoheit etwa für bestimmte Küchenstile oder Techniken abgegrenzt werden, während am Sonntag in der Küche gelegentlich noch die Ellenbogen ausgefahren werden, um das Dreissigstel zustehenden Küchenraum zu behaupten, ist der Montagabend geprägt von Einvernehmlichkeit und Spaß an der Arbeit. „Wer macht den hier den Plan?“, möchte mein Freund Gunther wissen, als er als Gast einen Blick in die Küche wirft. „Keiner“, sage ich, „es gibt keinen Plan.“ Und das ist auch gut so.

 

An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ausdrücklich bei Florian Bailey und seinem Team für die Koordination der Besuche, bei der Bayern Tourismus für die großzügige Umsetzung und bei Torsten Goffin für die Einladung bedanken. Möge es auch bei zukünftigen Foodcamps niemals einen Plan geben!