ethnografische notizen 114: foodcamp oberpfalz (6/9) – hopfen

Obergäriges in der Versuchsbrauerei St. Johann, November 2015

Obergäriges in der Versuchsbrauerei St. Johann, November 2015

Besichtigung Schneider Weisse in Kelheim. Die Gruppe ist übernächtigt und ein wenig verkatert. „Wir schau’n uns die Produktion an“, sagt der junge Mann, der uns herumführen wird. Wir reagieren verhalten enthusiastisch. „Heute bin ich froh, dass ich nur probieren und nicht trinken muss“, sagt ein Kollege, während wir Richtung Galerie gehen. Galerie, weil der Eigentümer der Brauerei, Georg VII. Schneider, die Etiketten selbst gestaltet. Von den Agenturen könne man viel kaufen, sagt der Besucherbeauftragte, der sich als Bier-Sommelier vorstellt, seinem Chef ginge es aber um weniger austauschbare Motive, um „gemalten Geschmack“. Pastose Acrylbilder in kräftigen Farben, ein wenig naive Malerei, ein bisserl anthroposophisch. Aber auf der Flasche funktioniert’s, wie ich feststelle. Wir steigen die Treppen wieder herunter und gehen ins Sudhaus. „Hier ist es wenigstens warm“, sagt jemand neben mir. „Hier ist unser wärmster Raum“, sagt der Sommelier und hängt sich seine Jacke über den Arm. Es riecht nach Malz während er uns den Einsatz von Hopfen erklärt. Doldenhopfen, Pellets und Extrakt. „Überall diese feuchte, warme Luft und diese Gerüche“, sagt Marco während wir in einen Kessel schauen, in dem gerade der Sud geklärt wird, „den aus der Wurstküche werde ich nie vergessen. Da habe ich direkt wieder Darm in der Nase.“ „Ich hab den eher auf der Zunge“, sagt Martin.

Nach der Betrachtung der Schneiderschen Erbfolge, Georg I. bis VII. (Jahrgänge 1817 bis 1965) komplett mit Zuschreibungen wie „der Mutige“ oder „der Dirigent“ – dürfen wir sogar in den Gärkeller, der normalerweise nicht für Besucher geöffnet ist. Die Hefe sei, erklärt uns der Sommelier, ein elementarer Bestandteil der Geschmackspalette eines Weißbieres. Zumeist Bananennoten, in Kelheim habe man sich allerdings auf Gewürznelke spezialisiert. Der Keller liegt irgendwie im zweiten Stock und während wir die Treppen hinaufsteigen, nimmt ein fruchtiger Geruch von Kohlensäure deutlich zu. Vorne große offene Edelstahltanks in denen es vor sich hin brodelt. Im hinteren Bereich ist ein Behälter von einer zentimeterdicken Schaumschicht bedeckt, die mich an eine Kaltschaummatratze erinnert. Ein junger Mann in blauer Arbeitskleidung schiebt mit einem riesigen Schaumlöffel die obergärige Hefe über eine Rampe in einen anderen Behälter. „Die Hefe wird bei uns noch immer mit der Hand abgehoben“, sagt der Sommelier ein wenig stolz. Ein hübsches Plastikthermometer aus den 1970er Jahren zeigt 17 Grad.

Die letzte Station des Rundgangs ist die Abfüllanlage. Wiederum steigen wir eine Treppe hinauf, vorbei an einer Tür mit der Aufforderung zum Tragen von Arbeitsschutzschuhen und Ohrenschutz, auf eine Empore. Es riecht ein bisschen nach Turnhalle. Von oben betrachten wir, wie 40.000 Flaschen unter großem Getöse auf endlosen Bändern durch die Halle fahren, mit Bier befüllt und mit Kronkorken verschlossen werden. Das Klirren ist ohrenbetäubend und wird von Motoren- und Ventilatorengeräuschen getragen.

Sudkessel in der Brauerei Schneider in Kelheim, November 2015

Sudkessel in der Brauerei Schneider in Kelheim, November 2015

Als wir in der Bierstube ankommen – im Erdgeschoss gelegen – liegt eine würzige Note in der Luft. Bier und ein Hauch von vielen vergangenen Mahlzeiten. Im Gewölbe und an den Wänden gelüftelte Stammbäume. Gegenüber ein Porträt von Maximilian I. und Elisabeth von Lothringen. Wir setzen uns an mit Flaschen und Brezeln eingedeckte Tische. Der Sommelier erläutert uns die Degustiergläser, die man im Zuge der Craft-Beer-Bewegung – „wie man das jetzt so nennt“ – entwickelt habe. „Bis zur breitesten Stelle auffüllen, dann kommt das Aroma am besten zur Geltung.“

Den Anfang macht ein alkoholfreies Bier (TAP3) mit Honignote. „Wenn ich von Aromen spreche, ist das rein sensorisch, dass, was wir mit Hopfen und Malz erreichen können. Keine Zusätze.“ „ Wer soweit ist, darf auch schon die nächste Flasche aufmachen Wenn man das Bier senkrecht einschenkt, dann ist es wach.“ „Jetzt auch wieder die Gruppe“, denke ich.

Das Kristall (TAP2) finde ich eigentlich schon sehr hefig, werde aber umgehend korrigiert. Es sei ein Bier, das sich durch Frische und Leichtigkeit auszeichne.

Die „Blonde Weiße“ (TAP1) ist schwerer im Mund. „In der Nase eher bananig“, sagt unser gruppeneigener Bier-Sommelier, „im Mund eher nelkig. Eine schöne Balance.“ Dem kann ich mich uneingeschränkt anschließen.

„Unser Original“ (TAP7), ein dunkles, pardon bernsteinfarbenes Bier, wie es im ausgeteilten Flyer heißt. Geht mit seit 1872 unveränderter Rezeptur in 40 Exportländer.

„Mein Grünes“ (TAP4) ist ein ehemaliges Oktoberfestbier, jetzt Neuland zertifiziert. Wird aber ab Januar „Meine Fest-Weiße“ heißen, weil das mit dem Öko-Image nicht ganz funktioniert hat. Nelke und Hopfennoten. Welcher Hopfen denn verwendet werde, möchte die Gruppe wissen. „Cascade“, sagt der Sommelier. „Wenn ich noch einmal Cascade höre, schreie ich“, denke ich ein wenig mussmutig.

Das Tempo der Verkostung nimmt zu. „Hopfenweiße“ (TAP5). „Man muss sich dafür öffnen“, sagt der Sommelier, der gleichzeitig auch für das operative Marketing zuständig ist, „man müsse reinriechen, dann habe man den exotischen Charakter in der Nase. Mango und Ananas.“ „Eine extreme Bitterness“, bemerkt der Kollege. Normales Weizen habe 16 Bitter-Units, ein Pils immerhin schon 30, dieses hier aber ganze 40.

Zum „Aventinus“ (TAP6) gibt es Schokolade. Erst Bier, dann Schokolade, dann wieder Bier. Das Glas riecht aber auch ohne schon dezent nach Süßspeise. Der junge Mann kommt mit einer schmiedeeisernen Vorrichtung und einem Bunsenbrenner zurück. „Oh, ein Stachel“, sagt jemand am Tisch. Ein paar Minuten später taucht er einen rotglühenden Eisenstab vorsichtig in das Glas, um den Malz zu karamellisieren. Es zischt kaum, nur der Schaum steigt merklich an.

Der Chef kommt. Georg VI. Schneider, amtierender König des Weißbiers. Er trägt ein dunkelgrünes Jankerl und freut sich ganz offensichtlich sehr, eine Gruppe da zu haben, die weniger trinken als diskutieren möchte. „Unser Thema war immer Weißbier“, sagt er und „Ich bin ein Genussmensch durch und durch.“ Er berichtet von seiner Suche nach dem perfekten Bier zum Wild und seinen Experimenten mit Fasslagerung auf Barrique. „Dann müssen wir’s auch probieren“, sagt die Dame in seiner Begleitung und stellt große Flaschen „Cuvée Barrique“ (TAPX) auf den Tisch. „Nussig-rauchiger Charakter (…) spannendes Gaumenspiel aus eleganten Röstaromen und Toffee, mit einer spitzen, beerig-feinsäuerlichen Note“, lese ich auf dem kleinen mit einer Kordeln am Flaschenhals befestigten Kärtchen. Georg VI. spricht von reproduzierbaren Erfahrungen und von der fehlenden Erkenntnis, die ihm ein Fass Bier mit zu prononcierten Whiskey-Aromen verweigere. Wir gehen hinüber in den Faßkeller. „American Oak“ steht auf den Fässern, „feine deutsche Eiche“, und „Forets & Aromes du Monde“. In einem Regal hintendurch eine Craftbeer-Sammelsuriums-Kiste mit der Aufschrift „Raging Bitch“.

Im Hochlager der Hopfenveredelungs GmbH in St. Johann riecht es wie bei Ikea. Nach Europaletten und Karton. Wir haben gerade einen nicht lustig gemeinten aber dennoch sehr unterhaltsamen Film über die Arbeit gezeigt bekommen und schauen uns den Betrieb an. Um die Ecke kreuzt der erste Hopfenduft unseren Weg. Wir riechen an den kreisförmig in die Ballen geschnittenen Probeentnahmelöchern. Intensiv und sehr würzig. „Mandarina Bavaria“. „Können Sie das uns vielleicht draußen erklären“, fragt eine Kollegin den uns begleitenden Brauingenieur, „da drinnen ist es so kalt.“ In der Halle mit der Sortieranlage ist es aber schon deutlich wärmer. Orange- und beigefarbene Quader sind so ordentlich aufgeschichtet, dass es eine wahre Wonne ist. Die Maschine schneidet die Ballen auf und sortiert die Fremdkörper aus dem Inhalt. Das klingt wie ein großer Wasserfall, der überall feinen hellgrünen Staub verteilt. Wir riechen in eine geöffnete Luke. „Hohes Suchtpotenzial“, befinde ich und bin mir nicht sicher, ob ich Mandarinen nur rieche, weil ich das gerade auf einem der Etiketten gelesen habe.

„Wenn man den Geruch den ganzen Tag in der Nase hat“, wollen wir wissen, „was trinkt man dann zuhause für ein Bier?“ „Je nachdem“, sagt der Mann, der auch Braumeister ist, wie ich später dem hauseigenen Flyer entnehme, „auch das, was ich selbst mache.“ Das Highlight der Führung ist der Besuch der Kältekammer, in der bei minus 36 Grad das Lupulin, der entscheidende Stoff im Hopfen, angereichert wird. „Die Maschinen müssen die ganze Saison laufen, die Mitarbeiter dürfen in Schutzkleidung maximal 30 Minuten rein.“ Nach weniger Minuten nur stehen wir mit roten Nasen und beschlagenen Brillen wieder vor der Türe und bekommen in der Versuchsbrauerei ein untergäriges Bier serviert. „Nice and hoppy“, sagt unser Amerikaner und schöner könnte man den Tag nicht zusammenfassen.