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Jonathan Safran Foer: „Eating Animals“

Als Kind hatte ich eine Katze. Genauer gesagt handelte es sich dabei um einen schwarzen Kater mit dem politisch nicht ganz korrekten Namen Mohrchen. Eines Tages saß Mohrchen bei uns im Garten und nach einigen Wochen heimlichen Fütterns mit Dosenjagdwurst blieb er bei uns – auch wenn er darauf bestand, seine Unabhängigkeit zu bewahren. Manchmal zeigte er sich ein paar Tage gar nicht, um dann wieder wochenlang jeden Morgen auf der Fußmatte vor der Haustüre auf mich zu warten. Ein Leben, wie es einem Kater gebührt und der Grund warum ich als Stadtmensch keine Katze mehr habe.

Es sind solche Argumente, die mir Jonathan Safran Foer in „Eating Animals“ schon im ersten Kapitel um die Ohren schlägt. Er macht unmissverständlich deutlich, dass uns keine außer einer kulturellen erlernten Logik erlaubt, einerseits die Haltung einer Katze in einer 70 Quadratmeter großen Wohnung als nicht artgerecht abzulehnen, gleichzeitig aber jeden Tag das Fleisch von Schweinen zu verzehren, die einen Großteil ihres Lebens in einem Behältnis verbracht haben, in dem sie sich aus Platzmangel nicht einmal um die eigene Achse drehen konnten.

Die Grundaussage des Buches ist nicht neu und nicht erst seit dem aktuellen Dioxin-Skandal ohnehin jedem vernunftbegabtem Menschen bewusst: „Für das billige Fleisch auf unseren Tellern zahlen Tiere mit unvorstellbarem Leid. Besser wäre es, wenn nicht ganz, so dann zumindest auf Fleisch aus Massentierhaltung zu verzichten!“ Neu daran ist aber, dass hier kein politisch motivierter Tierschutzaktivist schreibt, sondern ein international anerkannter Schriftsteller, dessen Erstlingsroman „Everything is illuminated“ seit 2002 in bislang mehr als 20 Sprachen übersetzt wurde. Jonathan Safran Foer ist ein Geschichtenerzähler und genau dieses Talent nutzt er in „Eating Animals“ um aufzuzeigen, dass Ernährung und Esskultur eine Frage von gelernten Verhaltensmustern und damit veränderbar sind.

Die Geburt seines ersten Kindes war für den in New York lebenden Autor (Jahrgang 1977) der Anlass, sich ein paar grundlegende Fragen über den Verzehr von Fleisch und die Folgen seiner industriellen Produktion zu machen. Foer schrieb unbeantwortete Briefe an große Konzerne, sprach mit Öko-Bauern und verschafft sich als Begleitung von Guerilla-Aktivisten illegalen Zutritt zu einer Geflügelfarm. Seine Ausführungen über die Zustände in den US-amerikanischen Fabrikställen und Schlachthäusern – die Hoffnung, dass die Methoden hierzulande weniger brutal sein mögen, ist letztendlich eine Illusion – sind von einer brutalen Präzision und derart plastisch, dass man an verschiedenen Stellen denkt, dass Buch nicht weiter lesen zu können. Aber „Eating Animals“ besteht eben nicht nur aus grausamen und abstoßenden Schilderungen, Foers erstes Sachbuch ist – und darin liegt die große Leistung dieser mehr als 300 Seiten – so unterhaltsam geschrieben, dass man trotz des berechtigten Ekels weiterlesen muss.  Der Text rangiert dabei zwischen traurig-empörend und bizarr-komisch, lediglich polemisch wird er nie. Nicht, wenn der Autor erläutert, wie er selbst zum Vegetarier wurde; nicht, wenn er eine überzeugte PETA-Aktivistin erklären lässt, warum es nicht ausreicht, lediglich selber kein Fleisch mehr zu essen; und auch dann nicht, wenn er Befürworter einer industriellen Produktion zu Wort kommen lässt.

Das Buch berührt, weil es kein schwarz-weißes Bild einer sauber in gut und böse zu trennenden Ernährungskultur zeichnet. Es ist vor allem geprägt von den unendlichen Grau-Schattierungen, in denen man sich als bewusster Esser immer wieder gefangen findet. Zum Vegetarier bin ich nach der Lektüre nicht geworden und eine größere Wohnung für die Katze, die ich gerne hätte, kann ich mir nicht leisten. Wohl aber ein bisschen mehr Platz für das Schwein auf meinem Teller.

Jonathan Safron Foer

Eating Animals

Back Bay Books, 2010

352 Seiten, 6,50 Euro

Tiere Essen

deutsch von Brigitte Jakobeit, Isabel Bogdan und Ingo Herzke

Kiepenheuer & Witsch, 2010

399 Seiten, 19,95 Euro