miniportion 312: matjes

Heringhappen auf dem Markt, Leiden 2004

Heringhappen auf dem Markt, Leiden 2004

Wenn man klein ist, dann ist auch die Welt noch eher klein und lange Zeit war das Holland das am weitesten entfernte Land, das ich mir vorstellen konnte. Als Kind war mir dabei der Unterschied zwischen nationalstaatlichen Grenzen und denen von Bundesländern nicht immer klar und gelegentlich bestand ich deshalb im Auto darauf, auch an der Grenze zu Rheinland-Pfalz „Nun ade, du mein lieb Heimatland“ zu singen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die Grenze zu den Niederlanden war mir natürlich schon deshalb geläufig, weil wir sie zum kostengünstigen Einkauf von Gemüse, Benzin und Fisch häufig überquerten. Trotzdem brachte ich den hinter Aachen gelegenen Grenzort Vaals anfänglich gerne mit dem britischen Wales durcheinander. Aber auch das legte sich im Laufe der Zeit. Dennoch blieb der ein paar Meter jenseits von Deutschland stattfindende Wochenmarkt sehr exotisch für mich, weil das Konzept „Wochenmarkt“ als solches in meiner dörflichen Heimat gänzlich unbekannt war. Hier wurden nicht nur Obst und Gemüse in unvorstellbaren Mengen verkauft, hier machte der wie Rudi Carell klingende Käsehändler beim Abwiegen von „altem Holländer“ jedes Mal den selben Witz und vor allem konnte man hier neben Backfisch auch Matjes-Heringe kaufen. Tote Fische, die nicht als Filet kamen und auch noch ihren Schwanz besaßen, waren mir eigentlich eher suspekt. Aber die Tatsache, dass man sie am selbigen packt, über den Kopf hebt und stückchenweise abbeißt, überstieg alles je Gesehene. Aber um ganz ehrlich zu sein, habe ich das auch nie gesehen und verlasse mich hier vollständig auf die Schilderungen meiner Mutter, die ja mit ihren Nachbarinnen zu ganzen anderen Zeiten auf dem Markt verkehrte.

Heute allerdings vermute ich, dass diese Verzehrmethode, wie der Akzent von Rudi Carell, die Tulpen im Keukenhof zu Lisse oder die Figur von Frau Antje, schlicht von cleveren Werbestrategen für den deutschen Markt erfunden wurde.