Über die Bedeutung von Essen und Trinken ist viel geschrieben. Zumeist aber in nicht besonders leicht verdaulichen Texten, um einmal im Jargon zu bleiben. Da muss man sich hier und da auch schon mal ein paar Seiten durchbeißen. Für einen windigen Samstagnachmittag auf dem Sofa sind klassische Kochbücher daher eigentlich besser geeignet. Andererseits will man den eigenen kulinarischen Horizont ja auch mal um mehr als um ein neues Knödelrezept erweitern.
Unterm Baum fand sich deshalb am Heiligen Abend eine ausgewogene Mischung von beidem. „Meine bayerische Küche“ von Alfons Schuhbeck, aber eben auch „Cooked. A natural History of Transformation“ von Michael Pollan. Außerdem Ferran Adrià mit „Ein Tag im elBulli“, René Redzepis „A work in progress“ und Sandor Ellix Katz mit „The Art of Fermentation“.
Also auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Bücher, die ich von sehr unterschiedlichen Menschen geschenkt bekommen habe – und doch scheinen sie, nach bislang einigen Stunden der Lektüre, irgendwie alle verbunden. Redzepi und Adrià, weil der erste mal beim zweiten in der Lehre war; Katz und Pollan, weil der letztere ein Vorwort zum Fermentationsklassiker geschrieben hat. Und alle vier, weil sie alle beseelt sind, küchentechnisch neue Wege zu beschreiten. Ob im heimischen Wald, im Labor, in der Kommune oder am Schreibtisch. Und spätestens seit das NOMA zum besten Restaurant der Welt ernannt wurde, zählt die Fermentation zu den aussichtsreichen Perspektiven der kulinarischen Erneuerung.
Neu ist die Bearbeitung von Lebensmitteln mittels Mikroorganismen ja eigentlich nicht, eher in Vergessenheit geraten. Während in der Generation meiner Großeltern noch ganz selbstverständlich eigenes Sauerkraut hergestellt wurde, beschränkten sich meine Eltern in den 1970er und 80ern auf die phasenweise Beschäftigung mit Hermännchen, einem Kastenkuchen auf Sauerteigbasis, der von Haushalt zu Haushalt weitergegeben wurde. Ich selber fand milchsauer vergorene Produkte lange Zeit suspekt. Aus dem einfachen Grund, dass ich nicht wusste, um was es sich da eigentlich handelt. Salzgurken schmecken nun einmal anders als Essiggurken. Und während ich alle möglichen anderen Techniken langsam wiederentdeckte, blieb das Fermentieren weiterhin außen vor. Bis ich im vergangenen Sommer den Pflaumen im Garten meiner Eltern nicht mehr Herr wurde, keine Lust mehr auf Mus hatte und mich erstmals ans Einwecken begab. Auf dem Grabbeltisch eines Kölner Buchladens entdeckte ich im Vorbeigehen ein Buch mit dem Titel „Einmachen. Gemüse natürlich einlegen“. Der schwedische Originaltitel „Syra själv: konsten att förädla grönsaker med hälsosamma bakterier“, bedeutet wörtlich übersetzt übrigens etwa: „Die Kunst, Gemüse mit gesunden Bakterien zu veredeln“, was in Deutschland vermutlich nur bedingt verkaufsfördern wäre. Und weil ich gerade sowohl in Kauf- als auch in Einmachstimmung war, erstand ich das Buch. Um zuhause festzustellen, dass Einmachen in diesem Fall eben jene ungemochten Salzgurken bedeutete – milchsaure Gärung also. Aber gekauft ist gekauft und weil die Gurkenzeit ohnehin vorbei war, begann ich mit Chilis, Zwiebeln und Karotten. Von den Schoten blieb nicht viel mehr übrig als Schleim und unverzehrbare Haut, der Zwiebelsud roch von einem auf den anderen Tag nach Jauche und die Möhren schimmelten irgendwann vor sich hin. Nichts, was meinen Küchentrieb mehr befeuert als Misserfolge! Es folgten passables Kimchi, einwandfreie saure Bohnen und letztendlich mein erstes eigenes, spektakuläres Sauerkraut. Seitdem vergäre ich alles, was meine Bakterien so mögen – Ingwer, Milch und altes Brot, um nur einige der aktuellen Experimente zu nennen.
Fermentation, so Sandor Ellix Katz, schaffe Verbindungen zwischen Menschen (Share-Economy Hermännchen), in die Vergangenheit (Sauerkraut meiner Großeltern) und eben auch in die Zukunft. Meine Vorsätze für 2015 lauten deshalb:
1. Fermentieren!
2. Mehr fermentieren!
3. Noch mehr fermentieren!