ethnografische notizen 088: fermentation

Ingwerbier, Köln 2015

Ingwerbier, Köln 2015

Über die Bedeutung von Essen und Trinken ist viel geschrieben. Zumeist aber in nicht besonders leicht verdaulichen Texten, um einmal im Jargon zu bleiben. Da muss man sich hier und da auch schon mal ein paar Seiten durchbeißen. Für einen windigen Samstagnachmittag auf dem Sofa sind klassische Kochbücher daher eigentlich besser geeignet. Andererseits will man den eigenen kulinarischen Horizont ja auch mal um mehr als um ein neues Knödelrezept erweitern.

Unterm Baum fand sich deshalb am Heiligen Abend eine ausgewogene Mischung von beidem. „Meine bayerische Küche“ von Alfons Schuhbeck, aber eben auch „Cooked. A natural History of Transformation“ von Michael Pollan. Außerdem Ferran Adrià mit „Ein Tag im elBulli“, René Redzepis „A work in progress“ und Sandor Ellix Katz mit „The Art of Fermentation“.

Also auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Bücher, die ich von sehr unterschiedlichen Menschen geschenkt bekommen habe – und doch scheinen sie, nach bislang einigen Stunden der Lektüre, irgendwie alle verbunden. Redzepi und Adrià, weil der erste mal beim zweiten in der Lehre war; Katz und Pollan, weil der letztere ein Vorwort zum Fermentationsklassiker geschrieben hat. Und alle vier, weil sie alle beseelt sind, küchentechnisch neue Wege zu beschreiten. Ob im heimischen Wald, im Labor, in der Kommune oder am Schreibtisch. Und spätestens seit das NOMA zum besten Restaurant der Welt ernannt wurde, zählt die Fermentation zu den aussichtsreichen Perspektiven der kulinarischen Erneuerung.

Neu ist die Bearbeitung von Lebensmitteln mittels Mikroorganismen ja eigentlich nicht, eher in Vergessenheit geraten. Während in der Generation meiner Großeltern noch ganz selbstverständlich eigenes Sauerkraut hergestellt wurde, beschränkten sich meine Eltern in den 1970er und 80ern auf die phasenweise Beschäftigung mit Hermännchen, einem Kastenkuchen auf Sauerteigbasis, der von Haushalt zu Haushalt weitergegeben wurde. Ich selber fand milchsauer vergorene Produkte lange Zeit suspekt. Aus dem einfachen Grund, dass ich nicht wusste, um was es sich da eigentlich handelt. Salzgurken schmecken nun einmal anders als Essiggurken. Und während ich alle möglichen anderen Techniken langsam wiederentdeckte, blieb das Fermentieren weiterhin außen vor. Bis ich im vergangenen Sommer den Pflaumen im Garten meiner Eltern nicht mehr Herr wurde, keine Lust mehr auf Mus hatte und mich erstmals ans Einwecken begab. Auf dem Grabbeltisch eines Kölner Buchladens entdeckte ich im Vorbeigehen ein Buch mit dem Titel „Einmachen. Gemüse natürlich einlegen“. Der schwedische Originaltitel „Syra själv: konsten att förädla grönsaker med hälsosamma bakterier“, bedeutet wörtlich übersetzt übrigens etwa: „Die Kunst, Gemüse mit gesunden Bakterien zu veredeln“, was in Deutschland vermutlich nur bedingt verkaufsfördern wäre. Und weil ich gerade sowohl in Kauf- als auch in Einmachstimmung war, erstand ich das Buch. Um zuhause festzustellen, dass Einmachen in diesem Fall eben jene ungemochten Salzgurken bedeutete – milchsaure Gärung also. Aber gekauft ist gekauft und weil die Gurkenzeit ohnehin vorbei war, begann ich mit Chilis, Zwiebeln und Karotten. Von den Schoten blieb nicht viel mehr übrig als Schleim und unverzehrbare Haut, der Zwiebelsud roch von einem auf den anderen Tag nach Jauche und die Möhren schimmelten irgendwann vor sich hin. Nichts, was meinen Küchentrieb mehr befeuert als Misserfolge! Es folgten passables Kimchi, einwandfreie saure Bohnen und letztendlich mein erstes eigenes, spektakuläres Sauerkraut. Seitdem vergäre ich alles, was meine Bakterien so mögen – Ingwer, Milch und altes Brot, um nur einige der aktuellen Experimente zu nennen.

Fermentation, so Sandor Ellix Katz, schaffe Verbindungen zwischen Menschen (Share-Economy Hermännchen), in die Vergangenheit (Sauerkraut meiner Großeltern) und eben auch in die Zukunft. Meine Vorsätze für 2015 lauten deshalb:

1. Fermentieren!

2. Mehr fermentieren!

3. Noch mehr fermentieren!

miniportion 221: choucroute

Hauptstadt des Sauerkrauts, Krautergersheim 2013

Hauptstadt des Sauerkrauts, Krautergersheim 2013

„Hier riecht es nach Sauerkraut“, sagt mein Mann am ersten Abend, als wir auf einer der Außenterrassen der Restaurants im Zentrum von Colmar einen Tisch suchen. „Kein Wunder“, sage ich, „Choucroute ist nun mal das Leibgericht einer jeden Elsässer-Karikatur.“

Auf dem Rückweg in den Norden dann, bei einem Besuch auf dem Mont St. Odile, betrachten wir eine am Rande des Parkplatzes aufgestellte Karte der Region. Wanderwege sind dort eingezeichnet, die Weinberge entlang der Vogesen und, als blaugrüne Flächen, die Anbaugebiete von Weißkohl im Norden der Region. „Produktion vom Kohl bis zum Sauerkraut“ lautet die Legende. „Da will ich auch hin“, sage ich und lege eine gewisse Dringlichkeit in meine Stimme, um Diskussionen zu vermeiden. Ich bekomme meinen Willen und nachdem wir in einem riesigen Haushaltswarenladen in Obernai hüfthohe hölzerne Krauthobel bewundert haben, fahren wir weiter nach Krautergersheim, der selbsternannten Hauptstadt des Sauerkrauts. „Capitale de la choucroute“ steht dementsprechend auf einem großen Schild am Ortseingang, „verpartnert mit Kapsweyer (Pfalz)“, üppig dekoriert mit Petunien und Geranien. Ein paar Schritte weiter befindet sich der Dorfbrunnen – ein rötlicher Mühlstein mit der Reliefdarstellung von im Krautacker arbeitenden Menschen, wasserspeienden Fröschen und als Krönung einem ernormen Kappes aus Bronze. Ansonsten ist der Ort eher unauffällig und wir fahren die Autofenster herunter, um mögliche Kohlgerüche nicht zu verpassen. Auf dem Weg zum nächsten Halt werben vereinzelte Krauthöfe ihre Produkte am Straßenrand, ganz wie die Winzer weiter südlich. In Betschdorf, noch weiter nördlich, wird zwar nicht mehr so viel Kohl angebaut, dafür werden hier aber die Pötte aus Salzglasurkeramik gefertigt, in denen das Gemüse dank Milchsäuregärung zum Sauerkraut heranreift. Ohne diese ausgefeilte Kulturtechnik wäre ich vermutlich wohl ganz ohne Schirmständer aufgewachsen.

miniportion 158: kimchi

Restaurant Son Nim, Köln 2013

Restaurant Son Nim, Köln 2013

Von koreanischer Küche wusste ich lange nicht viel mehr, als dass für bestimmte Gerichte wochenlang Salat eingeweicht werden müsse. Das Essen habe ziemlich übel gerochen, so erzählte zumindest meine Mutter von ihren koreanischen Mitschwestern in der Pflegeausbildung in den 1960er Jahren. Eine Geschichte, die in meinem Kopf Bilder von faulendem Kopfsalat in Badewannen hervorrief und die nicht so recht passen wollte zur ehemaligen Krankenschwesterkollegin H., die uns Jahre später einmal besucht und meinen Namen in zarten koreanischen Buchstaben auf einen Zettel schrieb.

Bei dem Salat handelte es sich vermutlich um Chinakohl, der vor knapp 50 Jahren hierzulande einfach nicht so bekannt war, in Korea aber schon seit dem 15. Jahrhundert angebaut wird. Und auch das Einweichen lässt sich erklären, denn vermutlich haben sich die Koreanerinnen damals in der Küche des Schwesternwohnheims aus Gründen der Heimatverbundenheit schlicht DIE koreanische Spezialität zubereitet – Kimchi. Dazu wird Chinakohl zunächst gewässert, dann gesalzen und mit einer Mischung aus Chiliflocken und Knoblauch versehen zur Gärung gebracht. Eine Art südostasiatisches Sauerkraut, wenn man so möchte und auch die traditionellen Tongefässe in denen Kimchi gelagert wird, sehen den Sauerkrauttöpfen aus Deutschland verdächtig ähnlich.

Kimchi kam über Japan in mein kulinarisches Bewusstsein, denn meine japanische Mitbewohnerin befand nicht nur, dass man im äußersten nicht nur ausschließlich japanischen sondern auch koreanischen Reis verzehren könne, sondern darüber hinaus, dass Kimchi eine grundsätzlich gute Sache sei. Einmal versuchte ich mich sogar selbst an der Herstellung von Kimchi – in eigens dafür angeschafften Gefäßen, nicht aus Keramik sondern aus Plastik. Ich versäumte damals jedoch die ausreichende Wässerung nach dem Salzen und vor dem Vergären, wodurch das Endprodukt nur in mikroskopischen Portionen genießbar ausfiel. Habe ich danach wochenlang in der Badewanne eingeweicht …

miniportion 133: eisbein

Eisbein mit Beilagen-Dreiklang, Berlin 2010

Eisbein mit Beilagen-Dreiklang, Berlin 2010

Eisbein mit Kartoffelpüree und Sauerkraut ist für viele Nicht-Deutsche Menschen dieser Welt vermutlich das deutscheste aller Essen. Wladimir Kaminer beschreibt in einem seiner Bücher, wie die Angestellten eines Berliner Gasthauses ein monumentales Eisbein anfertigen und immer dann auffahren, wenn es von touristischen Fotosafaris gewünscht wird. Vor allem auf Japaner sollen Haxen ja sehr beeindruckend wirken – vermutlich weil ihnen das Konzept, mehr oder weniger vollständige Beine von Säugetiere auf den Tisch zu bringen, eher unbekannt ist. Die meisten ostasiatischen Küchensysteme bringen Essen mundgerecht vorportioniert auf den Teller und verzichten auf Rumgewerke bei Tisch. Wer einmal versucht hat, ein Eisbein einigermaßen manierlich mit Stäbchen zu verzehren, weiß worin der Unterschied besteht.

Der Verzehr eines Schweins zwischen Ellenbogen und Fußwurzelgelenk setzt aber auch mit Messer und Gabel ein wenig Vorkenntnis voraus. Mein erstes Eisbein bestellte ich weit nach meinem 30. Geburtstag in einem Kölner Brauhaus. Da nennt man das Eisbein für gewöhnlich Hämchen, was schon ein bisschen freundlicher klingt. Trotzdem war ich etwas nervös, als der Köbes mit meiner Bestellung Richtung Küche abzog. Denn eigentlich kannte ich Eisbeine nur als Metapher für besonders fettiges und ungesundes Essen. Kölner Brauhäuser sind darüber hinaus nicht gerade für ihre kleinen Portionen bekannt und ich befürchtete schlicht an der schieren Menge Schwein auf meinem Teller zu scheitern. Als der Teller letztendlich vor mir stand, erinnerte ich mich an Freund G., der mir einmal erklärt habe, dass man zunächst das Mäntelchen (die Schwarte) und dann die dicke Fettschicht entfernen müsse – dann sei der Berg auf dem Teller schon um einiges reduziert.

Wer sich das ersparen möchte, sollte in Köln einfach Hämchenfleisch bestellen. Das ist nämlich schon ausgelöst und lässt sich sehr elegant auch mit Stäbchen essen.

miniportion 122: kasseler

Metzgerladen im legendären Berlin, 2008

Metzgerladen im legendären Berlin, 2008

Das Kasseler nicht aus Kassel stammt, ist mittlerweile ja eine altbekannte Sache. Erfunden wurde der Kantinenknaller von einem  gleichlautenden allerdings mit großem „C“ geschriebenen Metzger namens Johann in Berlin. In Schöneberg soll das gewesen sein, in der Potsdamer Straße, aber wie das mit Legenden so ist, der Nachweis ist schwer zu erbringen, auch wenn sich nahezu sämtliche Hauptstadtskochbücher neben Bockwurst und Boulette auch dieses Kulturmuster auf die Fahnen schreiben. Mit Sauerkraut und Kartoffelpüree. Der Rippenspeer vom Schwein, der vor dem Räuchern einige Tage in Salzlauge gepökelt wird, ist gegenwärtig in der gesamten Republik beliebt. Aus reiner Gehässigkeit ein weiterer Grund, warum die Erfindung nicht im hessischen Kassel erfolgt sein kann, da die Verbreitung aus einer Stadt in der nur alle fünf Jahre ortsfremde Menschen gesichtet werden sicherlich sehr viel langsamer verlaufen wäre.

Kasseler ist so beliebt, weil so praktisch portionierbar und außerdem durch die Doppelkonservierung so haltbar. Wächst man hingegen in einer Familie auf, die nur bestimmtes, nach erratischen Kriterien ausgesuchtes Schweinefleisch verzehrt, bleibt einem diese gutbürgerliche Spezialität leider vorenthalten. Ich weiß, wovon ich spreche – keine frische Bratwurst, kein Schnitzel und auch kein Kasseler. Das habe ich später nachholen müssen, denn Kasseler mit dicker Soße (nach dem Abkühlen schnittfest und als Außenhaut für Ariane-Raketen zu verwenden), Salzkartoffeln und Bohnensalat gehörte zu den festen Bestandteilen unserer Besuche bei der Großmutter meines Mannes. Im Laufe der Jahre wuchsen die beim Metzger gekauften Stücke auf ein bedrohliches Maß und passten kaum noch in den Kochtopf. Im Alter verliert man mitunter ein wenig den Überblick, was die Proportionen des Kochens angeht. Da kann man ein Gericht auch 60 oder 70 Jahre lang gekocht haben – plötzlich haut es nicht mehr hin. Das fängt meistens mit der Menge an.