Kas|sen|zet|tel 015

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Netto Bilderstöckchen, Köln 2016

Netto Bilderstöckchen, Köln 2016

Ich verlasse die A57 an der Ausfahrt Köln-Bilderstöckchen und biege rechts in die Escher Straße. Am ersten Kreisverkehr geht es nach links zum Penny, am zweiten zum Netto. Hier hört die Stadt auf. Links und rechts der Straße eher unattraktiver sozialer Wohnungsbau, eine Vielzahl von Müllcontainern vor den Häusern und noch mehr Müllansammlung vor den Containern. Weiterlesen

miniportion 366: pharisäer

Unehrliches Tässchen auf dem Flohmarkt, Hamburg 2014

Unehrliches Tässchen auf dem Flohmarkt, Hamburg 2014

Eine solide katholische Erziehung hat ihre Vor- und Nachteile. Eher nachteilig empfinde ich die dauerhafte Implementation von Schuldgefühlen, die man vermutlich nie wieder vollständig loswerden kann. Unter solch widrigen Umständen ist daher schon eine gewisse Kreativität von Nöten, um trotz allem ein erfülltes und lustiges Leben zu führen. Die religiöse Überwachung baut sich also gewissermaßen en passant ihre eigene Umgehungsstraße. Während beispielsweise Fastenzeiten für die Angehörigen anderer Konfessionen und Religionen eine ziemliche Einschränkung bedeuten, leben die katholischen Traditionen davon, Ausnahmen von der Regel zu finden. Herrgottsbescheißerle etwa, mit Fleisch gefüllte Maultaschen, deren Inhalt, so hoffte man zumindest, vor dem Höchsten verborgen sein würde, oder aber der Verzehr von Biberfleisch, da man das Nagetier ja aufgrund seines schuppigen Schwanzes nicht anders als einen Fisch und damit als fastenzeitkompatibel einordnen konnte. Ein weiterer katholischer Reflex besteht darin, immer erst einmal die anderen für den Untergang der eigenen Werte und Sitten verantwortlich zu machen. Ein Pharisäer beispielsweise ist laut Duden zum ersten ein Angehöriger einer altjüdischen Bewegung, zum zweiten ein Heuchler und zum dritten ein heißer Kaffee mit Rum und geschlagener Sahne. Wenn man, wie ich, als Kind viel Zeit in der Kirche verbringt und dabei nicht aus Norddeutschland kommt, sind einem die beiden ersten Bedeutungen zwangsläufig bekannt, da das Neue Testament in der Darstellung jüdischer Personen nicht besonders differenziert ist, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Das Getränk hingegen soll der Legende nach erst im 19. Jahrhundert in Ostfriesland erfunden worden sein, um das Alkoholverbot eines besonders strengen Geistlichen zu umgehen. An sich also in einem eher unkatholischer Landstrich, aber was dem einen sein Fleisch in der Fastenzeit ist dem anderen sein Rum im Kaffee.

miniportion 320: windbeutel

Ziemlich große Kunststoffwindbeutel im Möbelhaus, Köln 2013

Ziemlich große Kunststoffwindbeutel im Möbelhaus, Köln 2013

Einmal aß ich – ich glaube es war anlässlich eines Jubiläums meiner in einem niederländischen Kloster befindlichen Tante – einen Windbeutel in Form eines Schwans. Sehr detailverliebt hatte man den langen Hals und den Schnabel des Tieres aus Teig geformt. Das beeindruckte mich sehr, da er mir zu einer Zeit serviert wurde, in der ich mich lieber mit Tieren und weniger gerne mit Menschen umgeben hätte. Da war ein Gebäckstück in Form eines Wasservogels schon ein kleiner Lichtblick. Wie immer aber, wird der Verzehr mit einer mittelmäßigen Enttäuschung einhergegangen sein, denn ein Windbeutel hält in meinen Augen selten, was er verspricht. Über die Beschaffenheit und Geschmack des ihm zugrundeliegenden Brandteigs ist an anderer Stelle nachzulesen, aber sein Inhalt, der im Normalfall aus verstärkter Sahne besteht, ist irgendwie nie das, was man sich vorher selbst versprochen hat. Schlagsahne ist – ob man sie nun verträgt oder nicht ist eine ganz andere Frage – ein Lebensmittel, das für sich allein genommen eher langweilig ist. Als Geschmacksträger hingegen, beispielsweise im Weißweinsößchen oder aber als Feuchtigkeitsspender auf eher trockenem Kuchen, erfüllt sie eine nicht unwichtige Funktion. In Kombination mit einem eher schlichten Teig bleibt sie in meinen Augen aber eher langweilig.

Die Eisdiele meines Dorfes pflegte das von ihr servierte Spaghetti-Eis mit einer ordentlichen Portion Sahne unter der Speiseeis-Pasta aufzupimpen. An und für sich nicht besonders kundenfreundlich, weil man eigentlich ja nur am Vanilleeis sparen möchte, für Kinder aber ein besonderer Genuss, weil die Sahne ungewollt gefriert und somit in einen durchaus interessanten Aggregatzustand übergeht. Das die unbedarfte Freude an den kleinen Dingen des Lebens im Alter wiederkommt, ist eine bekannte Tatsache. Die Großmutter meines Mannes aß die von ihr beim Aldi gekauften Windbeutel am liebsten direkt aus der Tiefkühltruhe.

miniportion 319: lactose

Steht zwar drauf, ist aber nicht drin, Maastricht 2013

Steht zwar drauf, ist aber nicht drin, Maastricht 2013

Noch nachhaltiger als liebgewonnene Familientraditionen oder romantische Abendessen bei Kerzenschein erinnern wir uns der Mahlzeiten, die wir nicht vertragen haben. Die, von denen uns ein wenig übel geworden ist, die, von denen wir eine Fischvergiftung davon getragen haben oder in deren Verlauf wir sonstige Gastroenteritiden davongetragen haben.

Vor vielen Jahren einmal aß ich, noch zuhause bei meinen Eltern, eine ordentliche Portion Schmorgurke mit Hackfleisch und Reisbeilage. Später am Tag wurde ich krank, was grundsätzlich nichts mit der Qualität der Zutaten oder ihrer Zubereitung zu tun hatte, aber Jahre danach konnte ich die Nähe von Schmorgurken kaum ertragen, obwohl es sich dabei um ein Gericht handelt, was ich zuvor durchaus mochte und auch heute wieder schätze.

Anders hingegen ist das bei mir mit den Lebensmittel, deren Verzehr ich aufgrund meiner Unverträglichkeit von Milchzucker nicht besonders gut überstanden habe. Derer nämlich gibt es aufgrund der jahrelang unerkannt gebliebenen Intoleranz zu viele, als dass ich mich ihrer im Einzelnen erinnern könnte. Ganze Dekaden lang begann ich meine Tage mit einem großen Pott Milchkaffee, der im wesentlichen aus Milch mit etwas Kaffee bestand. Vervollständigt wurde diese Mahlzeit durch einen Teller Müsli mit Joghurt, im Laufe des Tages durch ein oder mehrere Joghurts ergänzt und hin und wieder abends durch das eine oder Pfannengericht mit einer gehaltvollen Sahnesoße abgerundet. Wenn ich solche Speisenfolgen an meinem Inneren Auge vorbeiziehen lasse, fühle ich den spontanen Impuls, mich selbst bei meinem eigenen Körper zu entschuldigen. Bitte, lieber Magen, lieber Dünn- und Dickdarm – vergebt mir, denn ich wusste nicht was ich tat.

Heute bin ich mehrheitlich abstinent und nur wenn ich bei Fremden eingeladen bin, mache ich großzügige Ausnahmen. „Diese Essen“, sage ich dann beim Abschied immer, „werde ich nie vergessen.“

miniportion 259: rooibos

Rooibos-Romantik mit Sonnenuntergang und Zimtstangen, Aachen 2013

Rooibos-Romantik mit Sonnenuntergang und Zimtstangen, Aachen 2013

Eine Zeit lang tranken wir in unserer WG Lapacho-Tee, den ich gekauft hatte, weil ich in einem Buch über Evita Peron eine hübsche Beschreibung von blau-blühenden Lapacho-Bäumen in Buenos Aires gelesen hatte. Das hatte mich stark angesprochen, wobei sich der Geschmack letztendlich aber als weitaus weniger blumig als die Romanvorlage erwies, nachgerade fad schmeckte er und der inneren Bastschicht des Handroanthus impetiginosus war keine lange Karriere vergönnt. Aber es gab ja noch genügend andere Mischungen, an denen wir in den uns entgegengehaltenen Metallschäufelchen im Teeladen schnupperten und die wir in naturfarbenen Papiertütchen im dunkelgrünen Teebeutelhalter aufgossen. Eigentlich war die Hochzeit des Kräuterteetrinkens als Inbegriff der Verinnerlichung und des Bei-sich-Seins Mitte der 1990er Jahre ja schon längst vorbei aber trotzdem stand fast immer eine Kanne auf dem Stövchen. Manche Dinge dauern in der Provinz eben ein bisschen länger. Einmal hatte Freund und Mitbewohner G. ein Kraut vom Wiener Naschmarkt mitgebracht, von dem keiner so genau wusste, um was es sich handelte, dass wir aber mit großem Eifer aufgossen und auftranken – vielleicht weil wir uns Wirkungen erhofften, die aber nie eintraten. Wir tranken Früchtetees mit saisonalen frühlingshaften oder herbstlichen Noten und sowohl unbehandelten als auch gerösteten Mate-Tee, der für Nicht-Kenner einen dezenten Duft von Zigarettenstummeln verströmte. Und dann eroberte irgendwann der Rooibos-Tee den Markt der Nicht-Schwarztee-Trinker und plötzlich hatten deutsche Tee-Küchen allesamt eine sahnige Note von Irish Coffee, Toffee und Erdbeer-Joghurt. In meinen vier Jahren als Hilfskraft im Universitätsarchiv trank ich jeden Morgen eine Tasse Sahne-Karamell, weil es sich dabei um die Lieblingssorte unseres Chefs handelte. Das klingt schlimm aber es hätte auch Apfelstrudel, Panna Cotta Rhabarber Sahne oder Honey Pie sein können.