Diese Reise beginnt an einem heißen Septembertag in 2019 Montpellier. Wir sind wieder auf Tour in Frankreich, in dem Land, das wir seit 2005 ganz systematisch bereisen. Angefangen vor 14 Jahre mit einer Übernachtung (in Strasbourg), weiter mit einem ganzen Wochenende (in der Champagne) und seit 2009 dann jedes Jahr mit 14 Tagen durch eine oder mehrere Regionen. Im letzten Jahr dann also ganz im Süden – von Lyon aus die Rhône hinunter bis ans Mittelmeer, durch das Languedoc-Roussillon bis nach Banyuls an die spanische Grenze und auf dem Rückweg noch ein Besuch an der Ardèche (davon später mehr). Fast ein bisschen wehmütig sitzen wir bei einem Rosé in der Sonne und realisieren, dass 2020 die vorläufig letzte Tour ansteht. Nach Provence und Côte d‘Azur ist Schluss. Und ja, ich weiß, Korsika, Réunion etc. gibt es auch noch …
Aber zurück nach Montpellier. Die Sonne knallt und nach einer kurzen Besichtigung der postmodernen Antigone-Bauten von Ricardo Bofill laufen wir durch das angrenzende Einkaufszentrum zurück in die Stadt. „Moment“, sage ich, als wir am Eingang des örtlichen FNAC vorbeikommen. „Nur ganz kurz“, sage ich und P. rollt diesmal nicht mal mit den Augen. Vermutlich, weil es draußen so warm ist, vielleicht aber auch, weil er nach mehr als 20 Jahren verinnerlicht hat, dass der Besuch von Buchläden und -abteilungen grundlegend zu meinem Wohlbefinden beiträgt. Drinnen scanne ich mit geübtem Blick die Regale– die üblichen Diät-Bestseller, Anleitung für das Kochen mit dem Thermomix, Jamie Oliver und Yotam Ottolenghi. Es gibt ein paar Bände zu regionaler und lokaler Küche, wie fast immer irgendwie interessant, aber in zweifelhaftem Layout. Diesmal aber bleibe ich an einem Band hängen, den ich schon bei der letzten Reise diverse Male in der Hand gehalten habe: „Le Grand Manuel du Boulanger“ von Marabout (Vanves 2016). Und auch in diesem Jahr blättere ich wieder durch die großformatigen Fotos und die eher wie ein technisches Lehrbuch gestalteten Anleitungen. Diesmal aber beschließe ich, dass endlich mal genug geblättert sei und auch wenn mein Budget im Ressort „Fachbücher und Kochutensilien“ für die laufende Tour schon ausgeschöpft ist, nehme ich das Buch kurzerhand mit zur Kasse. Danach geht alles wieder seinen gewohnten Lauf, der Urlaub ist weiterhin fulminant, wir genießen die Landschaft, erkunden die Städte und freuen uns dann doch schon auf das nächste Jahr. Das Buch liegt anschließend, wie in jedem Jahr, eine ganze Weile mit den anderen Souvenirs auf dem Couchtisch, bis ich es nach ein, zwei Monaten in die Abteilung „Frankreich“ meiner Bibliothek verräume.
Ab Mitte März finde ich mich ohne Aufträge aber mit viel Zeit für Projekte, die ich immer schon mal machen wollte. Während der Alltag um mich herum herunterfährt, freue ich mich bei aller Sorge um Gesundheit und Zukunft darüber, mal nicht jedes Projekt sofort auf seine Wirtschaftlichkeit prüfen zu müssen. Die Freiheit, einfach machen zu können.
Nach den ersten drei Kuchen mit den Kindern, überlege ich, das Backen zu professionalisieren und wir arbeiten uns durch Dr. Oetkers „Backen macht Freude“ in der Version von 1960. Zu diesem Zeitpunkt mag noch niemand abschätzen, wie lange wir unseren Alltag wohl einschränken müssen. Dass es länger dauern wird als ein paar Tage, kann sich niemand vorstellen. Aber irgendwann wird klar, dass das so schnell nix wird, mit dem „wie vorher“ und P. und ich beschließen schon im Juni, dass wir mit dem Urlaub mal lieber ein Jahr aussetzen. Wegen der Einschränkungen vor Ort, wegen der gesundheitlichen Risiken, aber auch weil Kurzarbeit und fehlende Aufträge nur bedingt zu unbeschwerten Ferien beitragen. Die Entscheidung fällt uns einerseits nicht wirklich schwer, andererseits aber ist ein Sommer ohne Frankreich kein richtiger Sommer!
Plötzlich kommt eins zum anderen. Wenn ich schon nicht fahre, denke ich, kann ich wenigstens schreiben. Ein Best-of meiner bisherigen Reportagen wäre aber ein wenig langweilig, irgendwie soll es da schon eine Herausforderung geben. Mein Blick fällt auf Le Grand Manuel und Eureka – die Idee ist da: Ich backe mich einmal quer durch Frankreich!
Als Kulturanthropologe und Journalist mit dem Schwerpunkt Essen & Trinken beschäftige ich mich vor allem mit Restaurants sowie der Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln. Gebäck, Patisserie und Confiserie kamen bei meinen Reisen durchaus vor, blieben aber immer eher im Bereich des privaten Konsums. Während ich mich selbst als durchaus ambitionierter Hobbykoch bezeichnen würde, war Backen nie mein Ding. Jetzt ist unser Alltag aber vollständig auf den Kopf gestellt, nichts ist mehr, wie es mal war und vermutlich wird auch wenig wieder so werden wie vorher. Wir alle müssen neue Wege suchen, neugierig und mutig sein, unbekanntes Terrain betreten. Eine neue Sprache lernen, eine neue Sportart anfangen oder eben – backen!
Zwei Wochen lang werde ich mich jeden Tag ganz praktisch an ein Rezept wagen und backen, dabei ein bisschen kulturhistorischen Hintergrund schildern und meine Erinnerungen an die jeweilige Region oder Stadt Revue passieren lassen. Zwischendurch lade ich mir Gäste ein, die handwerkliche Expert*innen und/oder Frankreichkenner*innen sind.
Das Projekt wird begleitet von der Food-Fotografien Jennifer Braun (jennifer-braun.de).