„Und was ist mit meinem Stück Fleisch?“, fragt mein Schwiegervater scherzhaft, als der Kellner im Restaurant Yakup 2 den schmiedeeisernen Präsentierwagen an den Tisch schiebt. Eine kaum zu überblickende Auswahl gegrillter, pürierter oder eingelegter Gemüse unter Zellophanfolie. Kaum Fleisch, lediglich hier und da ein wenig Fisch und Schalentiere. „Was ist dass denn?“, frage ich den Kellner und zeige auf ein helles Etwas, das verdächtig nach Hirn aussieht. „Schaf“, antwortet er lachend „lecker!“. Aber der strenge Blick meines Mannes signalisiert mir, dass ich nicht einmal daran denken soll und so lasse ich ihm bei der Auswahl der ersten Runde den Vortritt.
Der Kellner notiert sich unsere Bestellung und erst als er weg ist, erinnere ich mich, dass er beim letzten Besuch zu Ostern dieses Jahres überwiegend Deutsch mit uns gesprochen hat und natürlich schon oft in Köln gewesen sei. „I remember your face“, sagt er und bleibt diesmal trotzdem beim Englischen, während er den Schnaps auf den Tisch stellt. Diesmal trinken wir Rakı, um uns nicht wieder mit einer überteuerten Flasche Wein als Touristen zu markieren. Zwar nicht gleich eine ganze Flasche, wie die Herren vor uns auf der Terrasse, aber immerhin einen Viertelliter. Sie habe noch nie selbst Rakı bestellt, erzählte uns die freundliche Mitarbeiterin an der Rezeption mit dem süddeutschen Akzent ein paar Stunden vorher auf meine Nachfrage, dass sei immer die Aufgabe ihres Papas oder die der anwesenden Freunde. Sie sei sich aber sicher, dass man auch kleine Portionen bestellen könne.
„Soll ich Ihnen das noch einmal zeigen?“, sagt der Kellner und als wäre er mitten in einer Tee-Zeremonie schüttet er ein wenig Schnaps ins Glas, legt vorsichtig zwei Stücken Eis dazu und gießt mit Wasser aus einer Plastikflasche auf, „Şerefe!“
Das Essen lässt nicht lange auf sich warten. Gebratene Aubergine mit Joghurt, Brunnenkresseblätter ebenfalls in Joghurtsoße, Sardellen mit Oliven, eingelegter Meerfenchel, Kartoffelpüree mit frischem Dill, Humus und eine scharfe Nuss-Tomatenpaste. Da der gegrillte rote Paprika bereits aus ist, kommt der Servierwagen noch einmal angefahren. Der Kellner empfiehlt ein gekochtes Gemüse, das an Knollenselleriescheiben erinnert. „Like artichoke“, sagt er. Jerusalem artichoke lerne ich später, der englische Name für Topinambur.
Ein Küchenjunge bringt einen Korb mit über Holzkohle gerösteten Weißbrotstücken. Als es im Laufe des Abends richtig voll wird, bekommen wir nur noch ungeröstetes Brot, was aber ebenso lecker ist. Wir träufeln den Saft von Zitronenspalten, von den türkischen Gästen am Nachbartisch abgeguckt, großzügig über alle Speisen. Die Istanbuler auf der Terrasse bestellen ohne Karte und bekommen größere Platten auf denen verschiedene Melonensorten arrangiert sind oder auch ganze gebratene Fische. Doch wir sind mehr als zufrieden mit unseren Mezze, die in durchaus großen Portionen auf den Tisch kommen.
Der Innenraum des geräumigen Restaurants bleibt eher leer. Die meisten der im Frühjahr bis auf den letzten Platz mit nachgerade ausgelassenen Istanbulern besetzten Tische mit den weißen Decken und den roten Stühlen sind verschwunden und ich frage mich, ob es überhaupt nötig gewesen war, bereits von Deutschland aus einen Platz reservieren zu lassen.
Die Tische auf der Terrasse seien reserviert, hieß es bei unserer Ankunft, man könne aber gerne auf den ersten Stock ausweichen. Das scheint uns erst einmal nicht besonders attraktiv und wir nehmen an der offenen Front des Lokals Platz, am Rande einer auf die Straße hinaus gebauten Terrasse, die mehrheitlich mit Istanbulern besetzt zu sein scheint.
Ein verhältnismäßig junger bärtiger Mann am Tisch hinter uns scheint eine zentrale Funktion zu haben, er wird von einigen der anwesenden Herren am Tisch begrüßt, isst zunächst alleine, bis sich zwei ältere Männer dazugesellen. Gemeinsam essen sie Salat aus einer Schüssel.
Das Innere des großen Restaurants ist eine Mischung aus holzvertäfelter Tradition mit zahllosen Stichen, alten Zeitungsberichten und Fotos von den Besuchen offensichtlich berühmter Zeitgenossen und einem angenehm unprätentiösen 70’s-Ambiente mit einem schicken Boden aus schwarz-weißen Terrazzo-Platten Lediglich das WC mit seinem zartorange glühenden, von unten beleuchteten Waschtisch schießt ein wenig über das Ziel hinaus.
Bevor ich an den Tisch zurückkehre gehe ich kurzerhand die Holztreppe in den ersten Stock hinauf, um zu sehen, wohin all die vielen Gäste im Verlauf unserer Anwesenheit verschwunden sind und entdecke, leider zu spät, eine wunderschöne, bis auf den letzten Platz besetzte Dachterrasse unter dem unvergleichlichen Istanbuler Frühherbstnachthimmel.