ethnografische notizen 26: sauerteigbrot

Aachen, Februar 2011

Sauerteig, dachte ich bislang immer, ist eine sehr komplizierte Angelegenheit mit der gelegentliche Hobbybäcker, wie ich einer bin, restlos überfordert seien. Lediglich einmal, als ich im Rahmen einer klinischen Studie einer Histaminunverträglichkeit bezichtigt wurde, hatte ich mich bislang selber an die Herstellung eines Sauerteigbrotes gegeben. Keine Hefe mehr, hatte die ziemlich direkte Medizinerin im Bonner Universitätsklinikum befohlen, vertragen sie nicht. Prima, dachte ich, denn neu auferlegte Speisevorschriften haben ja auch immer etwas von einer Aufbruchsstimmung. Eine anschließende Marktrecherche ergab jedoch, dass ein hefefreies Brot nicht so ohne weiteres erhältlich ist. „Hefe“, wiederholte die Verkäuferin der Bäckereikette im Supermarkt, „nicht das ich wüsste.“ „Ich aber!“, dachte ich, „alles muss man selber machen.“ Die vom Internet verlangten 23 Grad schaffte meine Konstruktion aus einem im Wasserbad mit dem Heizstab meines Aquariums temperierten Topf aber nicht und auch nach fünf Tagen blieb der Ansatz, was er von Anfang an gewesen war: eine ziemlich unappetitliche graue Pampe. Mein Brot kaufte ich weiterhin beim Bäcker, die Histaminunverträglichkeit erwies sich als eine modische Erscheinung und die Erzeugung eigenen Sauerteigbrotes flog aus den Top 100 meiner kulinarischen Prioritäten.

Doch die wurden unlängst wieder neu geordnet. Von Carola aus Lüttich bekomme ich ein Stückchen Sauerteig. „Ganz einfach“, sagte sie und dass sie die Kunst des Sauerteigs dereinst ausgerechnet in den Niederlanden gelernt habe, wo sie doch selbst aus dem hübschen ostbelgischen Ort mit dem noch pittoreskeren Namen Sourbrodt stammt. Mit neuem Mut und null Erfahrung mache ich an die Arbeit. In einer metallenen Kastenform produziere ich einen Flachen, harten und ziemlich verbrannten Fladen. Im zweiten Versuch komme ich immerhin schon über die 5-Zentimeter-Marke, aber so ein richtiges Brot ist das noch immer nicht. „Das wird schon“, ermutigt mich meine Schwiegermutter, die ihre Sauerteigphase schon vor Jahren zu Ende gebracht hat, und überreicht mir eine Brotform aus Keramik. Den Dreh mit den Ruhezeiten habe ich mittlerweile raus, die Tücken des Backofens hingegen bleiben unberechenbar – zwei Tage später habe ich ein mäßig aufgegangenes Brot und zwei Brandwunden an Daumen und Zeigefinger, die sich sehen lassen können.

Unter den Kochbüchern meiner Eltern entdecke ich ein Relikt aus deren ökologischen Phase von 1982. Ein schmaler gelb-brauner Band mit dem Titel „Die Kunst des Brotbackens“. Der im hinteren Teil im Kreise seiner Familie abgebildete Verfasser könnte heute vermutlich mühelos als Taliban durchgehen, die Anleitungen und Rezepte hingegen sind jedoch eher friedlich gehalten. Man müsse den Teig spüren, heißt es dort, das Brot zu einem Teil seines Lebens machen. Das gelingt mir erst, als ich bei Manufactum (politisch unkorrekt!) einen Korb aus Peddigrohr für stolze 18 Euro kaufe. „Den Teig spüren“, denke ich, als ich am Abend den Ansatz auf die Heizung stelle. „Das Brot zu einem Teil meines Lebens machen“, sage ich mir, als ich am nächsten Morgen vor der Arbeit knete und walke. Nach zwei Stunden Backzeit halte ich am Abend ein erstes knuspriges, locker leichtes Brot in den vorsichtshalber behandschuhten Händen. War eben doch nicht alles schlecht in den 80ern.