
Curaçao 2009
Das chinesische Paar mir schräg gegenüber im Regionalexpress von Aachen nach Köln gehört sichtlich zu der Generation, die einen längeren Aufenthalt in Europa als einen von mehreren Meilensteinen ihrer Karriere betrachten. Sowohl die junge Frau als auch ihr etwa gleichaltriger Begleiter sind sorgfältig gekleidet, nicht besonders auffällig, aber doch eine Spur eleganter und selbstbewusster als ihre Altersgenossen hier aus der Region.
Zusammen spielen sie ein Strategie-Spiel auf dem iPod und während sie ihrem Freund auf chinesisch Anweisung gibt und ab und an mit ein, zwei schnellen Zugriffen seine Anordnungen auf dem virtuellen Spielbrett korrigiert, greift sie in eine in einer weißen Plastiktüte auf der Ablage am Fenster stehende Dose. Genüsslich knabbert sie an etwas, was aus dem Augenwinkel erst einmal wie das längliche Innengehäuse einer Birne aussieht. Bei eingehender Betrachtung handelt es sich jedoch um Hühnerfüße, die weiß gekocht in einer dunklen Marinade liegen.
Das erste Mal begegnete ich dieser Zwischenmahlzeit in einem Toko auf der Kruiskade in Rotterdam. Damals hielt ich die ungekocht angebotenen Füße für extravagant geformte Nudeln. „Sehr lecker“, sagte mein aus Kuala Lumpur stammender Kollege, dessen Eltern im Osten des Landes ein chinesisches Restaurant betrieben, „wenn sie denn richtig zubereitet sind.“ Ein Grundsatz der sich im Laufe unserer Freundschaft auf so gut wie alle essbaren Werkstoffe dieser Welt erweitern sollte.
„Nach einer Weile dachte ich, ich will nicht immer nur den Hahnenkamm oder die Hühnerfüße“, fasst ein deutscher Freund die kulinarischen Erlebnisse seiner Reise nach Peking zusammen, „ich will auch mal das dazwischen!“
Der Verzehr von Hühnerfüßen ist in Deutschland eine sehr fremde Vorstellung, die Beschränkung breiter Bevölkerungsgruppen auf reines Muskelfleisch ist jedoch eine Entwicklung des 20. Jahrhunderts. Erfordert sie nämlich einen Wohlstand, der es erlaubt, den Rest eines Tieres einfach zu entsorgen. Eine Voraussetzung die erst mit einer flächendeckenden Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion geschaffen wird.
Dass Hühnerfüße mit zunehmendem Wohlstand in Asien verschwinden werden, ist erst einmal jedoch nicht zu erwarten, zu hoch ist die Wertschätzung der eigenen (kulinarischen) Kultur, wie sie sich eben manchmal auch ganz selbstverständlich im öffentlichen Nahverkehr beobachten lässt.