ethnografische notizen 093: fleisch

Hohe Rippe, Eupen 2015

Hohe Rippe, Eupen 2015

Warum ich das mache, will meine Mutter in einem leicht konsternierten Ton von mir wissen. Und „das“ bezieht sich in diesem Fall mal nicht auf Frisur, Kleidung oder generelle Lebensführung, sondern auf einen Abendkurs mit dem Titel „Verbraucherthema Fleisch“, den ich gerade als gemeinsame Zerlegung eines Rindes angekündigt habe. „Weil es mich interessiert“, antworte ich ihr, „und weil ich das auch gerne können möchte.“

Ich gebe zu, mit dem Nachsatz wollte ich noch ein kleines bisschen mehr Konsternierung rauszukitzeln, aber dem Alter, in dem ich einen Kurs belegen würde, nur um meine Eltern zu provozieren, bin ich dann doch endlich entwachsen. Es interessiert mich nämlich wirklich, wie man ein Rind zerlegt. Nicht, weil ich es unbedingt selber können muss, sondern weil es mich als Fleischesser interessieren sollte. Eigentlich eine einfache Gleichung. Man entscheidet sich gegen den Verzehr von Fleisch – aus ethischen, gustatorischen, religiösen oder anderen Gründen. Oder man entscheidet sich – wie ich – für den Verzehr von Fleisch. Und da gehört für mich eine Auseinandersetzung mit den Haltungs- und Produktionsbedingungen logischerweise dazu.

„Ein exklusiver Einblick in das Zentrum für Aus- und Weiterbildung des Mittelstands, Fachabteilung Fleischverarbeitung“, heißt es in der Ausschreibung der Veranstaltung. Und dieses Zentrum, im belgischen Eupen, in dem auch die Aachener Fleischer ihre Meisterausbildung absolvieren, gilt es erst einmal zu finden. Zusammen mit Freundin H. kurve ich zunächst eine Weile durch die Hauptstadt der Deutschsprachigen Gemeinschaft und als wir das Gebäude, einen Parkplatz, die Abteilung Fleischverarbeitung, die Umkleide und die Wurstküche gefunden haben, ist das Viertelrind in Bioqualität bereits in vier große Stücke zerteilt.

„Ziemlich fett für eine zweijähriges Färse“, sagt Herr F., der Fleischer, der uns fachkundig durch den Abend begleitet. Er setzt das Messer mit dem gelben Plastikgriff zum Schnitt an, „hier ist noch eine Sehne, die wir entfernen müssen. Die bekommen wir auch durch langes Schmoren nicht weich.“

Um den Tisch herum stehen zehn Personen in weißen Vliesoveralls und schauen zu, wie der Meister das Tier fachkundig in Nuss und Oberschale, in Bürgermeisterstück und Tafelspitz und diverse weitere Stücke zerlegt.

„Was passiert den mit dem Fett“, fragt eine Dame. „Meistens wird das weggeworfen“, sagt Herr F., „obwohl man damit auch hervorragend frittieren kann.“ Ich gucke offensichtlich interessiert. „Ich dreh Dir das nachher durch“, sagt Herr F., „dann musst Du das noch auslassen. „Der Abend hat sich schon gelohnt“, denke ich.

„Damit wir nicht hungrig nach hause gehen“, sagt Frau K., die Kursleiterin, „haben wir etwas Brot mitgebracht und werden das Filet gleich in die Pfanne hauen.“ Der Vorschlag findet allgemeine Zustimmung. „Kann man machen“, sagt der Meister, „wäre aber schade.“ Er erklärt uns, dass das Fleisch am besten noch zwei bis drei Wochen reifen sollte. „Das halte ich nicht aus“, sage ich und denke daran, wie es sein wird, jeden Tag in einen mit Steaks und Braten gefüllten Kühlschrank gucken zu müssen. „Drei Wochen?“, fragt Freundin H., die aus Kamerun stammt, beinahe entsetzt. „Für den Geschmack“, erklärt Herr F., „eingeschweißt und im Kühlschrank versteht sich.“

Nachdem er mit etwas Krafteinsatz Rippen und Rückgrat entfernt hat, dürfen wir selber mit kleinen Aufgaben ran. Fett von der Oberschale abschneiden beispielsweise oder Fleisch fürs Hack von den herausgetrennten Sehnen abschaben. Eine Weile später befinden sich gewogene und mittels einer Excel-Liste bepreiste Fleischabschnitte in einer roten Plastikwanne und die mit der Bandsäge zerkleinerten Knochen in einer Plastiktüte. Lediglich ein kleiner Haufen unverzehrbarer Reste liegt noch auf dem Tisch aus Edelstahl.

Es geht an die Verteilung zum Selbstkostenpreis. Eigentlich sollte ich mit meinem Fett und den Knochen für die Soße schon zufrieden sein, denke ich, gerate dann aber doch in einen leichten Kaufrausch. Sechs Steaks aus der Hohen Rippe, die Nuss zum Schmoren, Rouladen, eine Beinscheibe für die Suppe und ein Tafelspitz landet eingeschweißt in meiner Tüte. Mit letzterem werde ich auch meiner Mutter beim nächsten gemeinsamen Mittagessen gut erklären können, warum ich das mache.