Restaurant Buffet International
Tomás Miller, 67 1a. Tel 273401
LAS PALMAS DE GRAN CANARIA
Abierto de las 12 horas a las 23,30 horas.
Postkarte, um 1965
(mit Dank an Stefan)
22. November 2010 – Budapest/Pécs
Das Frühstück im Le Meridien, dem ehemaligen Hauptquartier der Kommunistischen Partei, kosten 25 Euro und fällt dementsprechend ins Wasser und wir beschließen uns am Keleti-Bahnhof mit Proviant für die Reise auszustatten. Da bis zur Abfahrt des Intercitys nach Pécs noch genügend Zeit ist, nehmen wir noch eine Weile in der Bahnhofsrestauration Platz. Hier bekommt man noch eine gute Vorstellung, wie das Reisen einst mit Esskultur verknüpft war. Heute steht vor dem Flügel jedoch ein überdimensionierter Flachbildfernseher, der die wenigen Gäste mit Dauerclips ungarischer Teenagerbands beschallt. Die dreisprachige Karte wirbt mit ungarischem Fastfood, Gulasch, Bohnensuppe und Spiegelei – alles in maximal 15 Minuten auf dem Tisch. Wie in Ungarn üblich, fragt der Kellner nach dem Getränkewunsch, bevor wir überhaupt sitzen. Wir bestellen Kaffee und Milchkaffe und wundern uns zunächst über die Aufteilung des Raumes in einen Raucher- und einen Nichtraucherbereich anhand entsprechender Piktogramme auf den Speisekarten, bis mir einfällt, dass diese im Erfrischungsraum der Bonner Universität anhand grüner und roter Tische vorgenommen wurde, die fröhlich gemischt den Raum bevölkerten. „Wie wird hier denn das Trinkgeld gehandhabt“, frage ich meinen Kollegen, der schon ein paar Tage vor mir angekommen ist. Die Frage erübrigt sich, denn die 300 Forint Wechselgeld (umgerechnet 1,10 Euro) wandern ganz automatisch in die Tasche des Kellners.
Auf dem Weg zu Zug versuchen wir unser Glück an einem Bäckereistand. Die Auslage verschafft mir, da sich die Túrós táska als das erweist, was ich hinter ihnen vermutete, nämlich eine Quarktasche mit auffallend hellen Rosinen, eine erste Genugtuung. Auch der Rest des Angebots ist deutlich blätterteiglastig und könnte somit auch aus einer deutschen Bahnhofsbäckerei stammen. Lediglich die Form der Brötchen ist anders, irgendwie höher, fast wie eine Buchtel, mit einem eingestanzten Rautenmuster obenauf, dass an die Kruste eines Schweinebratens erinnert.
Schweinebraten steht es auch auf der nicht besonders umfangreichen, aber ausgewählten Speisekarte des Bistro/Enoteca Korso, mitten in der Altstadt von Pécs. Serpenyös Mangalicatarja sültpaprikás-tejfölös burgonyagombóccal um genau zu sein, gebratenes Halsstück vom Mangalicaschwein mit gerösteten Paprikaklössen. Und weil es so schön ist, hier auch noch die Vorspeise: Savanyúkáposzta krémieves füstölt császárral, sütötökkel, Sauerkrautsuppe mit geräuchertem Bauchspeck und Kürbis. „Was wollt Ihr denn essen“, fragt uns unser Gastgeber. „Na ungarisch halt“, antworten wir. „Könnte schwierig werden“ antwortet Támas, „ich zeige Euch ein gutes Restaurant, dass Euch hoffentlich nicht zu teuer ist.“ Das teuerste Gericht auf der Karte – ein Kalbssteak mit wilden Pilzen aus den Mecsek-Bergen, an deren Fuß Pécs liegt, Mangold und Pommes Frites – kostet keine 16 Euro. Da liegen die deutschen und die ungarischen Standards offensichtlich weit auseinander. Die ländliche Küche sei ländlich und fleischlastig, schreibt Viktor Iro in „Gebrauchsanweisung für Budapest und Ungarn“ (München 2009), die ungarischen Köche und Köchinnen hätten Schwierigkeiten mit der zeitgemäßen Anverwandlung traditioneller Gerichte. Zugegeben, wirklich vegetarische Gerichte fehlen auf der Karte und auch Gemüsebeilagen nach deutschen Standards gibt es nicht, aber ansonsten sind beide Gerichte mit Wollschwein und Sauerkraut sowohl regional verwurzelt als auch saisonal verantwortbar und scheinen mir eine sensible Neuinterpretation ungarischer Klassiker. Die Fleischportionen sind angemessen, aber nicht übermäßig. In der passierten Sauerkrautsuppe finden sich lediglich einige Stücke Bauchspeck, so dass das Gericht mit seinem Kürbisstück und seinem Schuss Kernöl angenehm ausgewogen bleibt. Das Fleisch ist gut durchwachsen und äußerst zart, der kräftige, beinahe wildartige Geschmack harmoniert mit der dunklen. Da die Weinkarte unsere interkulturelle Kompetenz an diesem hungrigen Nachmittag übersteigt, entscheiden wir uns für Bier. „Gibt es ein regionales Bier?“, frage ich den aufmerksamen Kellner, der allenfalls 20 ist. „Nein“, sagt er, „aber ein ungarisches.“ Ich nehme also einen halben Liter Dreher, der Kollege das Pilsener Urquell. Überhaupt scheint eine eigene ungarische Bierkultur nicht besonders ausgeprägt, aber die Tschechen kommen gerne zur Hilfe. Krusovice vom Faß, hell oder dunkel gibt es in der Studentenkneipe am Ende der Király utca, deren Interieur an einen durch ein Künstlerkollektiv besetzten Gebrauchtwarenladen erinnert. Alter und neuer Plunder, spontane Wandgemälde und furchtbar bequeme Plüschsesselchen, aus denen ich mich nach dem dritten Halbliterglas nur noch mit Mühe Richtung Hotel aufraffen kann.
Das chinesische Paar mir schräg gegenüber im Regionalexpress von Aachen nach Köln gehört sichtlich zu der Generation, die einen längeren Aufenthalt in Europa als einen von mehreren Meilensteinen ihrer Karriere betrachten. Sowohl die junge Frau als auch ihr etwa gleichaltriger Begleiter sind sorgfältig gekleidet, nicht besonders auffällig, aber doch eine Spur eleganter und selbstbewusster als ihre Altersgenossen hier aus der Region.
Zusammen spielen sie ein Strategie-Spiel auf dem iPod und während sie ihrem Freund auf chinesisch Anweisung gibt und ab und an mit ein, zwei schnellen Zugriffen seine Anordnungen auf dem virtuellen Spielbrett korrigiert, greift sie in eine in einer weißen Plastiktüte auf der Ablage am Fenster stehende Dose. Genüsslich knabbert sie an etwas, was aus dem Augenwinkel erst einmal wie das längliche Innengehäuse einer Birne aussieht. Bei eingehender Betrachtung handelt es sich jedoch um Hühnerfüße, die weiß gekocht in einer dunklen Marinade liegen.
Das erste Mal begegnete ich dieser Zwischenmahlzeit in einem Toko auf der Kruiskade in Rotterdam. Damals hielt ich die ungekocht angebotenen Füße für extravagant geformte Nudeln. „Sehr lecker“, sagte mein aus Kuala Lumpur stammender Kollege, dessen Eltern im Osten des Landes ein chinesisches Restaurant betrieben, „wenn sie denn richtig zubereitet sind.“ Ein Grundsatz der sich im Laufe unserer Freundschaft auf so gut wie alle essbaren Werkstoffe dieser Welt erweitern sollte.
„Nach einer Weile dachte ich, ich will nicht immer nur den Hahnenkamm oder die Hühnerfüße“, fasst ein deutscher Freund die kulinarischen Erlebnisse seiner Reise nach Peking zusammen, „ich will auch mal das dazwischen!“
Der Verzehr von Hühnerfüßen ist in Deutschland eine sehr fremde Vorstellung, die Beschränkung breiter Bevölkerungsgruppen auf reines Muskelfleisch ist jedoch eine Entwicklung des 20. Jahrhunderts. Erfordert sie nämlich einen Wohlstand, der es erlaubt, den Rest eines Tieres einfach zu entsorgen. Eine Voraussetzung die erst mit einer flächendeckenden Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion geschaffen wird.
Dass Hühnerfüße mit zunehmendem Wohlstand in Asien verschwinden werden, ist erst einmal jedoch nicht zu erwarten, zu hoch ist die Wertschätzung der eigenen (kulinarischen) Kultur, wie sie sich eben manchmal auch ganz selbstverständlich im öffentlichen Nahverkehr beobachten lässt.