Jan erwähnt beiläufig, dass das Restaurant bei einem Hof im Bergischen ein Wagyu-Kalb reserviert habe und man mit zwei Azubis der Schlachtung beiwohnen werde. „Wenn noch ein Platz frei ist, komme ich gerne mit“, versuche ich mein Glück als Nicht-Auszubildender. „Ganz entspannt um 8:30 Uhr, haben die gesagt“, meint Jan und wirkt nur bedingt glücklich mit der Gestaltung des frühen Dienstagmorgens. „Für mich kein Problem, feixe ich, „aber für euch Köche?“ Weiterlesen
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ethnografische notizen 093: fleisch
Warum ich das mache, will meine Mutter in einem leicht konsternierten Ton von mir wissen. Und „das“ bezieht sich in diesem Fall mal nicht auf Frisur, Kleidung oder generelle Lebensführung, sondern auf einen Abendkurs mit dem Titel „Verbraucherthema Fleisch“, den ich gerade als gemeinsame Zerlegung eines Rindes angekündigt habe. „Weil es mich interessiert“, antworte ich ihr, „und weil ich das auch gerne können möchte.“
Ich gebe zu, mit dem Nachsatz wollte ich noch ein kleines bisschen mehr Konsternierung rauszukitzeln, aber dem Alter, in dem ich einen Kurs belegen würde, nur um meine Eltern zu provozieren, bin ich dann doch endlich entwachsen. Es interessiert mich nämlich wirklich, wie man ein Rind zerlegt. Nicht, weil ich es unbedingt selber können muss, sondern weil es mich als Fleischesser interessieren sollte. Eigentlich eine einfache Gleichung. Man entscheidet sich gegen den Verzehr von Fleisch – aus ethischen, gustatorischen, religiösen oder anderen Gründen. Oder man entscheidet sich – wie ich – für den Verzehr von Fleisch. Und da gehört für mich eine Auseinandersetzung mit den Haltungs- und Produktionsbedingungen logischerweise dazu.
„Ein exklusiver Einblick in das Zentrum für Aus- und Weiterbildung des Mittelstands, Fachabteilung Fleischverarbeitung“, heißt es in der Ausschreibung der Veranstaltung. Und dieses Zentrum, im belgischen Eupen, in dem auch die Aachener Fleischer ihre Meisterausbildung absolvieren, gilt es erst einmal zu finden. Zusammen mit Freundin H. kurve ich zunächst eine Weile durch die Hauptstadt der Deutschsprachigen Gemeinschaft und als wir das Gebäude, einen Parkplatz, die Abteilung Fleischverarbeitung, die Umkleide und die Wurstküche gefunden haben, ist das Viertelrind in Bioqualität bereits in vier große Stücke zerteilt.
„Ziemlich fett für eine zweijähriges Färse“, sagt Herr F., der Fleischer, der uns fachkundig durch den Abend begleitet. Er setzt das Messer mit dem gelben Plastikgriff zum Schnitt an, „hier ist noch eine Sehne, die wir entfernen müssen. Die bekommen wir auch durch langes Schmoren nicht weich.“
Um den Tisch herum stehen zehn Personen in weißen Vliesoveralls und schauen zu, wie der Meister das Tier fachkundig in Nuss und Oberschale, in Bürgermeisterstück und Tafelspitz und diverse weitere Stücke zerlegt.
„Was passiert den mit dem Fett“, fragt eine Dame. „Meistens wird das weggeworfen“, sagt Herr F., „obwohl man damit auch hervorragend frittieren kann.“ Ich gucke offensichtlich interessiert. „Ich dreh Dir das nachher durch“, sagt Herr F., „dann musst Du das noch auslassen. „Der Abend hat sich schon gelohnt“, denke ich.
„Damit wir nicht hungrig nach hause gehen“, sagt Frau K., die Kursleiterin, „haben wir etwas Brot mitgebracht und werden das Filet gleich in die Pfanne hauen.“ Der Vorschlag findet allgemeine Zustimmung. „Kann man machen“, sagt der Meister, „wäre aber schade.“ Er erklärt uns, dass das Fleisch am besten noch zwei bis drei Wochen reifen sollte. „Das halte ich nicht aus“, sage ich und denke daran, wie es sein wird, jeden Tag in einen mit Steaks und Braten gefüllten Kühlschrank gucken zu müssen. „Drei Wochen?“, fragt Freundin H., die aus Kamerun stammt, beinahe entsetzt. „Für den Geschmack“, erklärt Herr F., „eingeschweißt und im Kühlschrank versteht sich.“
Nachdem er mit etwas Krafteinsatz Rippen und Rückgrat entfernt hat, dürfen wir selber mit kleinen Aufgaben ran. Fett von der Oberschale abschneiden beispielsweise oder Fleisch fürs Hack von den herausgetrennten Sehnen abschaben. Eine Weile später befinden sich gewogene und mittels einer Excel-Liste bepreiste Fleischabschnitte in einer roten Plastikwanne und die mit der Bandsäge zerkleinerten Knochen in einer Plastiktüte. Lediglich ein kleiner Haufen unverzehrbarer Reste liegt noch auf dem Tisch aus Edelstahl.
Es geht an die Verteilung zum Selbstkostenpreis. Eigentlich sollte ich mit meinem Fett und den Knochen für die Soße schon zufrieden sein, denke ich, gerate dann aber doch in einen leichten Kaufrausch. Sechs Steaks aus der Hohen Rippe, die Nuss zum Schmoren, Rouladen, eine Beinscheibe für die Suppe und ein Tafelspitz landet eingeschweißt in meiner Tüte. Mit letzterem werde ich auch meiner Mutter beim nächsten gemeinsamen Mittagessen gut erklären können, warum ich das mache.
#isswas 006 – fischessen
Das Haus der Geschichte in Bonn beschäftigt sich in einer Wechselausstellung mit dem Titel „Is(s) was?!“ mit der Geschichte von Essen und Trinken in Deutschland. Im Rahmen der sogenannten IssWas-Woche (15. bis 21. Juni) sind Hobby-Köch/innen und Profis, Foodies und Gelegenheits-Gourmets eingeladen, ihre Bilder, Anekdoten und Rezepte auf den Social-Media-Portalen des Museums zu teilen. Im Rahmen eines Tweetups am 22. Juni um 12.00 werde ich vor Ort in der Ausstellung die schönsten, lustigsten und skurrilsten Beiträge präsentieren und zur Diskussion stellen.
Jeden Tag stellen wir auf Facebook & Twitter eine andere Frage – heute:
Gibt es in Eurer Küche Traditionen und Rituale die religiös begründet sind?
In meiner katholischen Familie gab es früher eine ganze Reihe von Regeln, die ganz klar katholisch bedingt waren. Am Palmsonntag gab es ein violettes Ei pro Person, das wir Kinder im Garten immer unter dem Buchsbaumstrauch fanden. In der Fastenzeit wurden Süßigkeiten nicht gegessen, sondern in einem Einmachglas auf der Fensterbank in der Küche gesammelt. Und grundsätzlich wurde vor den Mahlzeiten gebetet. Das Erntedankfest – der christliche Feiertag an dem Ernte und Nahrung im Mittelpunkt stehen – fand vor allem in der Kirche statt. Gewöhnliche Sonntage aber waren wiederum in jedem Fall kirchlich bestimmt. Lange Jahre gab es Geflügel aus dem Römertopf, der vor dem Hochamt in den Ofen geschoben wurde, bei der Rückkehr verzehrfertig vor sich hin duftete und nach dem Telefonat mit der Oma mütterlicherseits mit allgemeiner Begeisterung gegessen wurde.
An Freitagen hingegen gab es kein Fleisch. Nicht zum Mittagessen, nicht auf den Butterbroten für die Schule und auch nicht auf denen zum Abendessen. Stattdessen gab es Fisch. Frischen Kabeljau, wenn meine Mutter in den benachbarten Niederlanden auf dem Markt gewesen war, ansonsten Seelachs aus der Kühltruhe und manchmal auch Fischstäbchen und Schlemmerfilet à la Bordelaise. Manchmal auch Spinat oder Mangold mit hartgekochten Eiern.
Einige von diesen Familientraditionen, wie beispielsweise das violette Ei, sind aus meinem Alltag verschwunden. Andere hat sich ein wenig verlagert – so faste ich keine Süßigkeiten mehr, sondern Kaffee, weil mir das weitaus schwerer fällt als meinen ohnehin schon geringen Süßwarenkonsum einzuschränken. Der Fischfreitag aber hat sich indirekt gehalten. Weil eine der drei gemeinsamen Hauptmahlzeiten der Woche auf dem Freitagabend liegt, esse ich nämlich mitunter auch mal freitags Fleisch. Allerdings frage ich mich jedes Mal mit einem leicht unguten Gefühl, ob das wohl in Ordnung ist. Manche Muster halten eben ein Leben lang.
miniportion 028: leguan
Essbare Tiere kann man in drei Kategorien einteilen: 1. Die Tiere, die wir irgendwie schön oder putzig finden und die wir deshalb nicht essen. 2. Die Tiere, die wir unheimlich und abstoßend finden und deshalb NICHT essen und 3. Die Tiere, die uns egal sind und die wir deshalb so oft wie möglich essen. Die Grenzen zwischen diesen Kategorien sind dabei manchmal fließend. Freund F., ein studierter Botaniker, der nicht nur jedes Gemüse seziert und zubereitet, isst beispielsweise kein Kaninchen, weil er als Kind mal eines namens Herkules besaß.
Reptilien hingegen gehören eindeutig zur zweiten Kategorie. Sie sind Tiere, die wir nicht essen, weil wir sie im Regelfall als ein wenig unheimlich und vielleicht auch ekelerregend empfunden. Nichts spricht aber beispielsweise gegen den Verzehr eines Leguans. Vor ein paar Jahren bereiste ich die Karibikinsel Curaçao und war fasziniert von den armlangen anmutigen Echsen, die mich, sobald ich den Kopf auf meiner Liege am Pool zur Seite drehte, auf Augenhöhe anstarrten. „Nicht nur harmlos, sondern auch lecker“, erklärt mein Guide vor Ort und macht mir vor, wie Kinder die mitunter etwas naiven Echsen von den Bäumen schütteln, um sie dann zu verkaufen. „Außerdem“, sagt er vertraulich, „hat der Verzehr von Leguanfleisch eine gewisse Wirkung auf Männer. Du verstehst schon.“ Ganz begeistert von meinem Interesse nimmt er mich mit zu „Jaanchie’s“, einem alten Restaurant im äußersten Westen der Insel. Dessen lustiger gleichnamiger Besitzer erläutert uns die Speisekarte und trifft anschließend auch die Auswahl. Es gibt Fisch, Reis mit Bohnen, Abalone und eine Portion Leguan. „Eine gute Wahl“, sagt er und zwinkert mir zu. Die in einer roten Soße geschmorten Stücke sind durchaus noch als Leguan identifizieren und auch die krause Petersilie kommt mir bekannt vor. „Schmeckt wie Hühnchen“, lese ich in meinen Aufzeichnungen „ist aber nicht viel dran und hat fischgrätenartige Knochen.“ Huhn ist für uns ja meistens die erste Referenz. Egal – so oft wie möglich essen!
ethnografische notizen 023a: jonathan safran foer – eating animals
Als Kind hatte ich eine Katze. Genauer gesagt handelte es sich dabei um einen schwarzen Kater mit dem politisch nicht ganz korrekten Namen Mohrchen. Eines Tages saß Mohrchen bei uns im Garten und nach einigen Wochen heimlichen Fütterns mit Dosenjagdwurst blieb er bei uns – auch wenn er darauf bestand, seine Unabhängigkeit zu bewahren. Manchmal zeigte er sich ein paar Tage gar nicht, um dann wieder wochenlang jeden Morgen auf der Fußmatte vor der Haustüre auf mich zu warten. Ein Leben, wie es einem Kater gebührt und der Grund warum ich als Stadtmensch keine Katze mehr habe.
Es sind solche Argumente, die mir Jonathan Safran Foer in „Eating Animals“ schon im ersten Kapitel um die Ohren schlägt. Er macht unmissverständlich deutlich, dass uns keine außer einer kulturellen erlernten Logik erlaubt, einerseits die Haltung einer Katze in einer 70 Quadratmeter großen Wohnung als nicht artgerecht abzulehnen, gleichzeitig aber jeden Tag das Fleisch von Schweinen zu verzehren, die einen Großteil ihres Lebens in einem Behältnis verbracht haben, in dem sie sich aus Platzmangel nicht einmal um die eigene Achse drehen konnten.
Die Grundaussage des Buches ist nicht neu und nicht erst seit dem aktuellen Dioxin-Skandal ohnehin jedem vernunftbegabtem Menschen bewusst: „Für das billige Fleisch auf unseren Tellern zahlen Tiere mit unvorstellbarem Leid. Besser wäre es, wenn nicht ganz, so dann zumindest auf Fleisch aus Massentierhaltung zu verzichten!“ Neu daran ist aber, dass hier kein politisch motivierter Tierschutzaktivist schreibt, sondern ein international anerkannter Schriftsteller, dessen Erstlingsroman „Everything is illuminated“ seit 2002 in bislang mehr als 20 Sprachen übersetzt wurde. Jonathan Safran Foer ist ein Geschichtenerzähler und genau dieses Talent nutzt er in „Eating Animals“ um aufzuzeigen, dass Ernährung und Esskultur eine Frage von gelernten Verhaltensmustern und damit veränderbar sind.
Die Geburt seines ersten Kindes war für den in New York lebenden Autor (Jahrgang 1977) der Anlass, sich ein paar grundlegende Fragen über den Verzehr von Fleisch und die Folgen seiner industriellen Produktion zu machen. Foer schrieb unbeantwortete Briefe an große Konzerne, sprach mit Öko-Bauern und verschafft sich als Begleitung von Guerilla-Aktivisten illegalen Zutritt zu einer Geflügelfarm. Seine Ausführungen über die Zustände in den US-amerikanischen Fabrikställen und Schlachthäusern – die Hoffnung, dass die Methoden hierzulande weniger brutal sein mögen, ist letztendlich eine Illusion – sind von einer brutalen Präzision und derart plastisch, dass man an verschiedenen Stellen denkt, dass Buch nicht weiter lesen zu können. Aber „Eating Animals“ besteht eben nicht nur aus grausamen und abstoßenden Schilderungen, Foers erstes Sachbuch ist – und darin liegt die große Leistung dieser mehr als 300 Seiten – so unterhaltsam geschrieben, dass man trotz des berechtigten Ekels weiterlesen muss. Der Text rangiert dabei zwischen traurig-empörend und bizarr-komisch, lediglich polemisch wird er nie. Nicht, wenn der Autor erläutert, wie er selbst zum Vegetarier wurde; nicht, wenn er eine überzeugte PETA-Aktivistin erklären lässt, warum es nicht ausreicht, lediglich selber kein Fleisch mehr zu essen; und auch dann nicht, wenn er Befürworter einer industriellen Produktion zu Wort kommen lässt.
Das Buch berührt, weil es kein schwarz-weißes Bild einer sauber in gut und böse zu trennenden Ernährungskultur zeichnet. Es ist vor allem geprägt von den unendlichen Grau-Schattierungen, in denen man sich als bewusster Esser immer wieder gefangen findet. Zum Vegetarier bin ich nach der Lektüre nicht geworden und eine größere Wohnung für die Katze, die ich gerne hätte, kann ich mir nicht leisten. Wohl aber ein bisschen mehr Platz für das Schwein auf meinem Teller.
Jonathan Safron Foer
Eating Animals
Back Bay Books, 2010
352 Seiten, 6,50 Euro
Tiere Essen
deutsch von Brigitte Jakobeit, Isabel Bogdan und Ingo Herzke
Kiepenheuer & Witsch, 2010
399 Seiten, 19,95 Euro