Kas|sen|zet|tel 022

Warum Kas|sen|zet|tel? Hier!

Match, Eupen 2016

Match, Eupen 2016

Vermutlich der Supermarkt, mit dem ich die meisten Erinnerungen verbinde. In meiner Kindheit hieß er Grand Bazar und die gelegentlichen Ausflüge ins knapp 20 Kilometer entfernte Eupen auf der belgischen Seite der Grenze waren immer auchExkursionen in eine sehr exotische Welt. Weiterlesen

Kas|sen|zet|tel 009 – Zwischensumme

Warum Kas|sen|zet|tel? Hier!

Kassenzettel Colruyt und Hilal aus eigener Produktion, Januar 2016

Kassenzettel Colruyt und Hilal aus eigener Produktion, Januar 2016

Weil ich die Läden in meiner Nähe schnell abgegrast habe, schreibe ich mir eine Liste mit Discountern aus anderen Städten und Ländern. So ein Projekt will ja vorbereitet sein. Unter dem Stichwort „Belgien“ stehen dort Delhaize, Match und Carrefour – außerdem ein Supermarkt namens Colruyt. Weiterlesen

ethnografische notizen 093: fleisch

Hohe Rippe, Eupen 2015

Hohe Rippe, Eupen 2015

Warum ich das mache, will meine Mutter in einem leicht konsternierten Ton von mir wissen. Und „das“ bezieht sich in diesem Fall mal nicht auf Frisur, Kleidung oder generelle Lebensführung, sondern auf einen Abendkurs mit dem Titel „Verbraucherthema Fleisch“, den ich gerade als gemeinsame Zerlegung eines Rindes angekündigt habe. „Weil es mich interessiert“, antworte ich ihr, „und weil ich das auch gerne können möchte.“

Ich gebe zu, mit dem Nachsatz wollte ich noch ein kleines bisschen mehr Konsternierung rauszukitzeln, aber dem Alter, in dem ich einen Kurs belegen würde, nur um meine Eltern zu provozieren, bin ich dann doch endlich entwachsen. Es interessiert mich nämlich wirklich, wie man ein Rind zerlegt. Nicht, weil ich es unbedingt selber können muss, sondern weil es mich als Fleischesser interessieren sollte. Eigentlich eine einfache Gleichung. Man entscheidet sich gegen den Verzehr von Fleisch – aus ethischen, gustatorischen, religiösen oder anderen Gründen. Oder man entscheidet sich – wie ich – für den Verzehr von Fleisch. Und da gehört für mich eine Auseinandersetzung mit den Haltungs- und Produktionsbedingungen logischerweise dazu.

„Ein exklusiver Einblick in das Zentrum für Aus- und Weiterbildung des Mittelstands, Fachabteilung Fleischverarbeitung“, heißt es in der Ausschreibung der Veranstaltung. Und dieses Zentrum, im belgischen Eupen, in dem auch die Aachener Fleischer ihre Meisterausbildung absolvieren, gilt es erst einmal zu finden. Zusammen mit Freundin H. kurve ich zunächst eine Weile durch die Hauptstadt der Deutschsprachigen Gemeinschaft und als wir das Gebäude, einen Parkplatz, die Abteilung Fleischverarbeitung, die Umkleide und die Wurstküche gefunden haben, ist das Viertelrind in Bioqualität bereits in vier große Stücke zerteilt.

„Ziemlich fett für eine zweijähriges Färse“, sagt Herr F., der Fleischer, der uns fachkundig durch den Abend begleitet. Er setzt das Messer mit dem gelben Plastikgriff zum Schnitt an, „hier ist noch eine Sehne, die wir entfernen müssen. Die bekommen wir auch durch langes Schmoren nicht weich.“

Um den Tisch herum stehen zehn Personen in weißen Vliesoveralls und schauen zu, wie der Meister das Tier fachkundig in Nuss und Oberschale, in Bürgermeisterstück und Tafelspitz und diverse weitere Stücke zerlegt.

„Was passiert den mit dem Fett“, fragt eine Dame. „Meistens wird das weggeworfen“, sagt Herr F., „obwohl man damit auch hervorragend frittieren kann.“ Ich gucke offensichtlich interessiert. „Ich dreh Dir das nachher durch“, sagt Herr F., „dann musst Du das noch auslassen. „Der Abend hat sich schon gelohnt“, denke ich.

„Damit wir nicht hungrig nach hause gehen“, sagt Frau K., die Kursleiterin, „haben wir etwas Brot mitgebracht und werden das Filet gleich in die Pfanne hauen.“ Der Vorschlag findet allgemeine Zustimmung. „Kann man machen“, sagt der Meister, „wäre aber schade.“ Er erklärt uns, dass das Fleisch am besten noch zwei bis drei Wochen reifen sollte. „Das halte ich nicht aus“, sage ich und denke daran, wie es sein wird, jeden Tag in einen mit Steaks und Braten gefüllten Kühlschrank gucken zu müssen. „Drei Wochen?“, fragt Freundin H., die aus Kamerun stammt, beinahe entsetzt. „Für den Geschmack“, erklärt Herr F., „eingeschweißt und im Kühlschrank versteht sich.“

Nachdem er mit etwas Krafteinsatz Rippen und Rückgrat entfernt hat, dürfen wir selber mit kleinen Aufgaben ran. Fett von der Oberschale abschneiden beispielsweise oder Fleisch fürs Hack von den herausgetrennten Sehnen abschaben. Eine Weile später befinden sich gewogene und mittels einer Excel-Liste bepreiste Fleischabschnitte in einer roten Plastikwanne und die mit der Bandsäge zerkleinerten Knochen in einer Plastiktüte. Lediglich ein kleiner Haufen unverzehrbarer Reste liegt noch auf dem Tisch aus Edelstahl.

Es geht an die Verteilung zum Selbstkostenpreis. Eigentlich sollte ich mit meinem Fett und den Knochen für die Soße schon zufrieden sein, denke ich, gerate dann aber doch in einen leichten Kaufrausch. Sechs Steaks aus der Hohen Rippe, die Nuss zum Schmoren, Rouladen, eine Beinscheibe für die Suppe und ein Tafelspitz landet eingeschweißt in meiner Tüte. Mit letzterem werde ich auch meiner Mutter beim nächsten gemeinsamen Mittagessen gut erklären können, warum ich das mache.

ethnografische notizen 62: café le gourmet

Ostbelgien hat vom 26.04. bis zum 11.05.2014 seine Genusswochen ausgerufen. Im Auftrag des Ministeriums esse, trinke und schreibe ich mich durch die Deutschsprachige Gemeinschaft. Dort ganz offiziell  und hier, wie gewohnt, eher privat im Nachschlag. Heute in der Kaffeerösterei „Le Gourmet“ in Eupen.

Kaffeesack-Romantik, Eupen 2014

Kaffeesack-Romantik, Eupen 2014

„Probat“ steht auf der Röstmaschine. Erprobt ist sie sicherlich, auch wenn sie hier vor Ort, in der Eupener Unterstadt, erst seit einem knappen Jahr steht und damit eigentlich noch als vergleichsweise durchgeht. Auch wenn an der Wand ein Zertifikat der Marke „Made in Ostbelgien“ hängt, die Maschine stammt aus Deutschland und sieht sehr solide aus. Probat eben. Anders, als man vielleicht in einer Rösterei erwarten würde, gibt es hier keine Antiquitäten zu besichtigen. Die Kunden erwarten Romantik, erzählte mir einmal ein Kölner Röster, „die wollen Kaffeesäcke und Fotos von glücklichen Kaffeepflückern.“ Davon ist hier, in der Kaffeerösterei „Le Gourmet“ in der Eupener Unterstadt nichts zu entdecken. Stattdessen gibt es transparente Rohrleitungen mit denen die Bohnen – roh und geröstet, gemahlen oder ungemahlen – hin und her transportiert werden. Blaue Elektroleitungen, gelbe Kabel und graue Plastiktonnen auf Rollwagen aus lackiertem Stahl. Diese Produktion hat nur wenig mit den Bildern zu tun, die man beim Stichwort „Kaffeerösterei“ vielleicht im Kopf haben mag. Keine verbeulten Maschinen und selbstgebastelten Anlagen, keine von Generationen von Kaffeeröstern benutzten Gerätschaften und keine Patina. Stattdessen eine ultramoderne Ausstattung. Neben dem Röstofen steht ein schwarzer glänzender Laptop. Die meisten Abläufe sind hier computergesteuert. Daneben führt eine Tür zu den Lagerräumen. Und hier gibt es sie dann plötzlich doch, die Kaffeesäcke. Aber erst hier hinten, wo die rot-schwarzen Tüten mit der Aufschrift „Le Gourmet“ auf den Vertrieb warten und das restliche Sortiment aus Milch und Zucker gelagert wird. Ein Herr verschweißt mehrer Pakete mit Filterkaffee zu transportfähigen Einheiten. Hier gibt es sie gleich palettenweise, die Kaffeesäcke, die der Endkunde so gerne sieht. „Clean Coffee“ lautet ihr Aufdruck, „Crop 2013-2014, Product of Guatemala.” Vorne prüft derweil der Röster Farbe und Aroma der laufenden Bohnen. Er hält sich eine kleine Schütte mit zimtbraunen Bohnen unter die Nase. Ob computergesteuert oder nicht – Kaffee ist und bleibt eben doch eine sinnliche Angelegenheit.

Mehr Text von mir unter www.madeinostbelgien.be

Mehr Infos zur Rösterei unter www.cafelegourmet.be

miniportion 230: kartoffeln

Einkellerkartoffeln nach rechts, Eupen 2013

Einkellerkartoffeln nach rechts, Eupen 2013

Kartoffeln kamen früher immer aus Heinsberg. Das ist die westlichste Kreisstadt der Bundesrepublik und für südlich von Aachen beheimatete Menschen unvorstellbar weit weg. In Heinsberg gibt es nach wie vor viele Kartoffeln und bald sogar wieder einen Bahnhof. Und außerdem Spargel und mit dem Wassenberger Sämling auch eine eigene Pfirsichsorte, aber das ist eine andere Geschichte. Vor allem also Kartoffeln. Auf dem Weg zum größten Supermarkt stand damals gelegentlich ein Kartoffelbauer mit seinem Lieferauto mit dem Kennzeichen HS für Heinsberg. Der stand dann wie zufällig in der Kurve, stellte ein Schild an seinen Wagen und verkaufte Kartoffeln. Die wurden dann zuhause vom Kofferraum in den Keller gebracht und dort in ein ziemlich wackliges Holzgestell im Vorratskeller umgebettet. Links in der Ecke, neben dem Weinregal und gegenüber vom Tiefkühlschrank. Dort harrten sie dann ihres Schicksals, welches zumeist in Form von Salzkartoffeln ein Ende fand. Waren wir Kinder anwesend, wurden wir schon mal in den Keller geschickt, um Kartoffeln zu holen. Das geschah mittels eines kleinen grünen Plastikeimerchens, in dem möglichst gleich große Knollen zu transportieren waren. Bis dahin gab es allerdings noch mehrere Hindernisse zu überwinden. Zum einen ging ich nicht gerne in den Keller, weil ich ja ein sehr beschäftigtes Kind war und meistens etwas zu sortieren hatte, zum anderen ging ich nicht gerne in den Keller, weil ich vor allem Abends schon mal ein bisschen Angst im Dunkeln hatte. Dazu kam, dass Kartoffeln damals noch mehr oder weniger ungewaschen in den Handel kamen und ich das Anfassen der rauen, sandigen Schale unangenehm empfand. Für eine sofortige Ausführung des Auftrags hingegen sprach, dass man auf dem Weg dahin ein bisschen in den überall auf dem Speicher und im Keller herumstehenden Kartons mit Kram aus diversen Erbschaften herumkramen konnte. Und am Ende des steinigen Weges stand ja immerhin auch eine warme Mahlzeit.