ethnografische notizen 100: wódka

Zu Schulzeiten weilten einmal polnische Austauschschüler und -schülerinnen im Nachbardorf. An Einzelheiten des Besuchs kann ich mich nicht mehr erinnern, zum einen weil ich kein Mitglied des gastgebenden Pfadfinderstammes war, zum anderen weil das alles schon sehr lange her ist. Im Gedächtnis geblieben ist mir aber der Bericht von Schulfreundin M., dass die Gäste gleich ganze Saftgläser voll Wodka getrunken hätten. Von Wodka hatte ich damals immerhin schon gehört, der Brauch jedoch, Schnaps in größeren Mengen als den in Deutschland üblichen 2 cl zu konsumieren, fand ich hingegen ziemlich unvorstellbar.

Sortenreiner polnischer Wodka, Danzig 2015

Sortenreiner polnischer Wodka, Danzig 2015

„Einen Doppelten oder soll ich gleich die ganze Flasche bringen?“, fragt der Kellner im Restaurant Kubicki, nachdem wir nach Schweinskotelett mit Sauerkraut und Bratkartoffeln eine Runde Schnaps bestellen. „Haben Sie auch was aus der Region“, frage ich. Der Kellner zeigt uns auf der Wodka-Seite die Sorten, die zumindest aus Polen kommen. Wir entscheiden uns für die Kartoffel-Variante der Marke „Chopin“, mit deren Bezeichnung die Herkunft ja auch für Unkundige ersichtlich wird, bleiben allerdings eher unpolnisch beim touristischen kleinen Schnapsglas. Der Inhalt ist eiskalt und so mild, dass sogar mein Mann, der sich ansonsten von allen Getränken oberhalb der 30 Prozent schütteln muss, Gefallen daran findet. Ein „Single-Ingredient“, wie ich später auf Wikipedia lese, bei dem „die Basis des Destillates reinsortig gehalten wird und dem Endprodukt keine Zusatzstoffe zugefügt werden. (…)Die Grundsubstanzen für die drei Vodkas werden in derselben Region kultiviert, viermal destilliert und nicht mit Geschmacks- oder Geruchsstoffen versetzt.“ Am letzten Abend trinken wir in der Cool-Tura Bar, einem offensichtlich sehr populären Etablissement am Rande der Stadt, denselben Wodka. „Wie bitte?“, fragt der Barmann als ich bestellen möchte. Offensichtlich gehört die Marke mit einem Preis von 13 Zloty pro Shot nicht unbedingt zum Standardprogramm des überwiegend jungen Publikums. Die meisten Gäste haben auch ein Bier in der Hand.

Browar Mieski, Sopot 2015

Browar Mieski, Sopot 2015

Auch damit haben wir in den vergangenen Tagen gute Erfahrungen gemacht. Beispielsweise in einer Bar namens „Lamus“ mit der großblumigen Siebziger-Jahre-Tapete, in der mir die junge Frau hinter der Theke ein halbes Glas Craft-Beer „Rock’n Rye“ schenkt, weil das Fass gerade leer geworden ist. Wir probieren Karamellbier namens „Classic Karmi“ aus dem Supermarkt, das weitaus weniger süß ist, als das Name und Etikett vermuten lassen würde und sitzen auf der Außenterrasse der Brauerei Mieski in Sopot und beobachten die Wochenendurlauber, die entlang der Souvenirhändler die Straße hinunter Richtung Ostsee laufen. Zwei helle Biere gibt es in der Karte, ein Dunkles und American Red. 0,42 dunkles Bier in kugeligen Humpen aus Glas kosten acht, mein ziemlich herbes Rotes neun Zloty. Für den großen Durst gibt es alle vier auf einem praktischen Holzbrett. „Lecker“, denke ich, blinzele in die Sonne und verzichte auf ein zweites Glas, um sicher zu stellen, dass auch ich den Strand noch erreichen werde.

Lediglich der polnische Wein will mich nicht so recht überzeugen. Als wir in der Winiarnia Literacka an einer Ecke der Mariengasse einen Aperitif nehmen, finde ich auf der Weinkarte einen polnischen Rot- und einen Weißwein. „Wir haben aber nur Weißwein“, sagt der Kellner und ich nehme den Riesling. Der heißt Saint Vincent und schmeckt eher dünn und – nun – sauer. „Polen wird nicht zu meinem Lieblingsweinland“, sage ich zu den anderen nach etwa der Hälfte des Glases. Die anderen blicken mich mitleidvoll über ihre französischen Rotweine hinweg an.

Machandel mit Backpflaume, Danzig 2015

Machandel mit Backpflaume, Danzig 2015

Auf dem Weg zum Essen sehe ich in der Menü-Vitrine eines Restaurants eine ungewöhnliche Flasche mit der Aufschrift Machandel. Ich erinnere mich dunkel daran, dass ich in der „Blechtrommel“ von dieser Wacholder-Spezialität gelesen haben muss. Mein Jagdinstinkt ist geweckt. Den ersten Versuch mache ich in einem Spirituosengeschäft, das mich an den längst geschlossenen Schnapsladen in meinem Heimatdorf erinnert. „Ich spreche ein bisschen Deutsch“, sagt der ältere Inhaber auf meine Frage und dann „Machandel ist nicht da!“. Und zwar in einem so bestimmtem Tonfall, dass ich mich höflich bedanke und den Laden schnellstens verlasse. Ein paar hundert Meter weiter verkauft ein Kiosk (wie die meisten Kioske hier) ein ziemlich beeindruckendes Assortiment an Schnaps. „Machandel?“ sage ich. „Can you repeat it?“, sagt der Verkäufer, „I have never heard of it.“ Abends dann, im Restaurant am Fischmarkt, erblicke ich zu meiner Erlösung eine Flasche auf der Theke und einen entsprechenden Eintrag in der Karte. „Wo kann ich denn eine Flasche Machandel kaufen?“, frage ich den etwas behäbigen Kellner. „Im Restaurant Goldwasser, im Coffee-Shop Goldwasser“, sagt er „und – hier.“ Er bringt uns Schnapsgläser mit einer auf einen Zahnstocher gespießten Backpflaume. Nach dem Anstoßen lese ich den anderen einen Text von einer Website mit dem Titel „Danziger Trinksitten“ vor, der die Sache mit der Backpflaume erläutert. Den Zahnstocher darf man nämlich erst knicken, nachdem man den Pflaumenstein zurück ins Glas gespuckt hat: „Iberm Flaumenstein im Glase, wie’s nach altem Brauch sich schickt, wird dänn einmal vore Nase der bewußte Stab jeknickt“, zitiert der Eintrag eine Postkartenserie von 1939. Das bekommen wir noch hin. Eine andere Trinkspiel-Variante bei der ein zur Hälfte mit Machandel gefülltes Grogglas reihum gereicht wird und bei dem der vorletzte Trinker bezahlen muss, lassen wir lieber aus. Wir sind ja schließlich keine Schüler mehr.

ethnografische notizen 099: żurek/gdańsk

Żurek im Restaurant Kubicki, Danzig 2015

Żurek im Restaurant Kubicki, Danzig 2015

Das Problem mit dem Essen auf Reisen ist, dass man sich erst langsam an die landläufigen Portionsgrößen herantasten muss. Ein Teller Pasta in Italien als Zwischengericht, um nur ein Beispiel zu nennen, ist etwas anderes als eine Portion Bolognese beim gutbürgerlichen Italiener um die Ecke. Polnische Tellergerichte, so stellt sich aber schnell nach unserer Ankunft in Danzig heraus, scheinen wie gemacht für den deutschen Geschmack. Viel und preiswert – um nur die beiden wichtigsten Anforderungen des durchschnittlichen Bundesbürgers an die vor ihm befindliche Speisekarte zu nennen. Und auch ich, der ich ja zumeist getrieben werde von der Suche nach regionalen und saisonalen Außergewöhnlichkeiten, gebe zu, dass es mir auf Reisen manchmal darum geht, satt zu werden.

Im Restaurant Kubicki, direkt am Wasser mit Sicht auf die Philharmonie gelegen, haben wir für den ersten Abend einen Tisch reserviert. Weil die Dame von der Agentur, bei der wir das Appartement gemietet haben, uns das Lokal empfohlen hat und weil es eigentlich in jedem Reiseführer als Gastro-Tipp gehandelt wird. Wir werden an einer langen Bar vorbei in eine der hinteren Räumlichkeiten geführt. Neu eingerichtet scheint mir der Laden, aber mit viel Gefühl für das „alte Danzig“, nach dessen Spuren die meisten Touristengruppen hier suchen. Auf der Visitenkarte, die ich mir im Vorbeigehen schon mal einstecke, ist eine Postkartenansicht der Stadt von 1902 zu sehen. Auch wenn zwischendurch mal alles kaputtgebombt wurde, die Silhouette der Stadt ist in etwa die gleiche geblieben. Ein Mann spielt auf einem einfachen, an einer Wand aufgestellten Klavier. Wir werden in einer gemütlichen Ecke platziert und bekommen die Karte. Es könne ein bisschen dauern, sagt der Kellner, man habe gerade eine ziemlich große Reisegruppe zu bedienen. Die sitzt an einem langen Tisch in meinem Rücken, kommt hörbar aus Deutschland und wird mit jeder Runde Piwo ein bisschen lauter. Als der Klavierspieler „O sole mio“ spielt, steht einer der Reisenden auf und fängt laut an zu singen. Nicht unbedingt schlecht, aber unbedingt laut. Die Gruppe johlt, während die restlichen Gäste etwas betreten dreinschauen. So ganz sole mio ist man ja dann meistens doch nicht.

Wir studieren die Karte. Unter den Vorspeisen stoße ich auf Żurek, Sauermehlsuppe mit Wurst. Unter Sauermehl kann ich mir nicht wirklich etwas vorstellen, auch wenn die englische Übersetzung „sour rye flour soup“ vermuten lässt dass es Richtung Sauerteig gehen könnte. Meine Neugierde ist geweckt. „Die Sauermehlsuppe (…) ist eine Suppe auf der Basis einer Sauerteigbrühe mit typisch saurem Geschmack“, lese ich später auf Wikipedia, „sie kommt vor allem in der polnischen und der weißrussischen Küche vor, ist jedoch auch fester Bestandteil der schlesischen, der slowakischen und der tschechischen Küche.“ Ob es sich dabei um eine Vorspeise handele, frage ich den Kellner. Der nickt freundlich. Und vor dem „traditionellen Danziger Schweinsruckenbraten mit Weiskraut und Kartoffeln“ – einem Kotelett, das denen in Kölner Brauhäusern in nichts nachsteht – wird ein dunkelblauer Keramiktopf vor mir platziert. Der ist ziemlich voll mit einer hellen, gebundenen Suppe mit gehackten Kräutern. Und als ich umrühre finde ich außerdem in Scheiben geschnittene Wurst, ein gevierteltes Ei und Speck. Żurek schmeckt weniger sauer, als ich erwartet habe. Lecker und ziemlich deftig, denke ich und dass der Kellner mir nicht ganz die Wahrheit gesagt haben kann. Die Portion Eintopf vor mir ist so groß, dass man sie durchaus auch als Hauptmahlzeit hätte verkaufen könnte.

Żurek am Lech-Wałęsa-Flughafen, Danzig 2015

Żurek am Lech-Wałęsa-Flughafen, Danzig 2015

In den nächsten Tagen begegnet uns die Sauermehlsuppe auf Schritt und Tritt. Auf den Speisekarten der Restaurants, als Tütensuppe im Supermarkt oder in der Basisversion als trübe Flüssigkeit in einer kleinen Plastikflasche bei der lustigen Gemüsefrau auf dem Markt, bei der wir für fünf Groschen eine Ogórki, eine große eingelegte Gurke kaufen. Auf dem Heimweg, haben wir am Flughafen noch genug Zeit, etwas zu essen. Während die anderen sich für einen Burger entscheiden, nehme ich eine letzte Portion Żurek. Knapp zehn Złoty kostet die Schüssel. Und wieder frage ich die Bedienung nach der Portionsgröße. Diesmal aber nicht, weil ich nur eine kleine Vorspeise möchte, sondern weil ich befürchte, gegebenenfalls nicht satt zu werden. So eine Suppenschüssel sieht auf der Reklame ja schon einmal größer aus, als dann auf dem Tablett an der Kasse. „200 ml“, sagt die junge Frau und ich schließe aus der prompten Antwort, dass ich nicht der erste Kunde bin, der diese Frage stellt. Ich bestelle vorsichtshalber noch ein Stück Spinatkuchen dazu. Die Flughafensuppe schmeckt mir noch ein bisschen besser als die im Restaurant. Und auch die polnische Quiche ist lecker. Allerdings hätte man das Stück problemlos als Hauptgericht verkaufen können. Danach sollte ich beim nächsten Mal vorher fragen.

ethnografische notizen 098: metamorfoza/gdańsk

Ochsenschwanz/Sauerampfer/Waffel – Restauracja Metamorfoza, Gdańsk 2015

Ochsenschwanz/Sauerampfer/Waffel – Restauracja Metamorfoza, Gdańsk 2015

Weil das eigentlich für den Samstagabend vorgesehene Fischrestaurant schon nachmittags ausgebucht ist, machen wir uns auf gut Glück auf die Suche nach einem Abendessen. Wir versuchen, uns an die Lokale zu erinnern, an denen wir tagsüber vorbeigelaufen sind. „Müssen wir uns gegebenenfalls mal für abends merken“, sagen wir in solchen Fällen immer und vergessen den Namen umgehend und zwei Straßen weiter auch die Adresse wieder. A., den Stadtplan fest in der Hand, schreitet voran. Und weil die Innenstadt von Danzig nicht besonders groß ist, finden wir – vermutlich eher zufällig – tatsächlich das eine oder andere besagte Restaurant.

Beim ersten Versuch überzeugt uns der Tisch nicht (enge, dunkle Ecke), beim zweiten ist es die Karte (uninspiriertes Italo-Fusion-Food). Und dann stehen wir ein paar Straßenecken weiter plötzlich vor einem Lokal namens „Metarmorfoza“. Sieht von außen ziemlich voll aus, die wenigen Tische sind besetzt mit jungen Norwegern. Wir fragen trotzdem und werden gebeten, noch zehn Minuten zu warten – ein Tisch sei nicht gekommen und man könne gleich Bescheid geben. Wir gehen ein paar Meter weiter und betrachten die Futterstation der örtlichen Katzenhilfe auf der anderen Straßenseite, die sowohl von Katzen als auch von dicken Tauben besucht wird, bis wir kurze Zeit später hereingebeten werden.

Auch dieses Restaurant ist, wie die meisten hier, mit dicken, schweren, tiefen Polstermöbeln bestückt. Gelb und rot. Ich frage mich, ob die Polen unsere Gaststätten in Deutschland aufgrund der harten Stühle nicht furchtbar ungemütlich finden. Der Kellner, ein schöner junger Mann mit unvermeidlichem Vollbart, nimmt unsere Jacken und erklärt das Menü. Jedes Gericht wiege ungefähr 100 Gramm, plus minus 20. Wir gehen gemeinsam die Karte durch. Es gibt insgesamt neun Kombinationen, aus denen man drei, fünf, sieben oder neun Gänge bestellen kann. „Using the bounty of the region and digging into history, tradition and culture, Justyna (die Eigentümerin) presents the Polish & Pomeranian cuisine in an innovative manner“, heißt es auf einem Handzettel, den ich später zusammen mit der Visitenkarte einstecke.

Die einzelnen Gänge haben jeweils eine lateinische Überschrift – etwa Clupea harengus für Hering oder Pastinaca sativa für Pastinake – was mich mit meinem ausgeprägten Kategorisierungs- und Ordnungstick schon freudig stimmt. Darunter sehr knappe und nüchterne Umschreibungen der Zutaten wie duck/potato/onion oder pike/beef flank/stock. Der Kellner notiert unsere Bestellungen auf einem kleinen Zettel und weil wir vier unterschiedliche Vorstellungen von dem haben, was wir lecker finden, muss er einiges schreiben.

Schon beim ersten Amuse, einem winzigen Möhrengebäck mit Gänseblümchengarnitur fühle ich mich angenehm an unser Projekt „Geländegang“ erinnert. Eine Assoziation die sich in den folgenden Gängen fortsetzt. „Gruß aus Danzig“, schreibe ich den Jungs im MaiBeck später, „es gab Sauerampfer, Gänseblümchen, Giersch, Vogelmiere und Löwenzahn.“ „Danzig ist Weltklasse“, antwortet Jan Maier, „schön, daß wir mit den Wegekräutern nicht in der Kölner Nische stecken.“

Spätestens mit den ersten Gängen werden die Ambitionen des Lokals und die Inspiration durch Redzepi und Noma in Komposition und Anmutung der Gerichte deutlich. Der schöne Mann bringt Hering und Dill auf einem metallisch-grün schimmernden Keramikteller. „Soll ich ehrlich sein?“, frage ich meine Leute am Tisch, „sieht wunderschön aus, schmeckt aber irgendwie nach nichts.“ Die anfängliche Enttäuschung reißen die folgenden Gänge aber umgehend wieder raus. Es gibt (zumindest für mich) Tartar mit pochiertem Wachtelei, noch einmal Hering und Sauerklee; Huhn mit polnischen Frytki und Pastinakenmayonnaise; süße mit Ochsenschwanz gefüllte Waffelröllchen, Sauerampfer im Blatt und als Mousse und zum Abschluss einen spektakulär frischen Berliner mit Pudding aus Enteneiern und Puderzucker, dazu Saft vom gekochten Apfel in einer kleinen Flasche, deren Kronkorken die Kellner erst am Tisch entfernen.

Zufrieden sitzen wir danach in tiefen, weichen, gelben und roten Polstermöbeln und sind eigentlich ganz froh, dass das Fischrestaurant an diesem Samstag bereits ausgebucht war.

 

Restauracja Metamorfoza

Szeroka 22/23-24/26

Gdańsk

www.restauracjametamorfoza.pl

miniportion 239: goldwasser

Güldenes Nass, Köln 2013

Güldenes Nass, Köln 2013

In meiner Familie väterlicherseits ist es seit vielen Jahren üblich, sich zu Geburts- und Namenstagen Alkohol zu schenken. Von dieser Regel wird allenfalls abgewichen, wenn es sich um runde Jubiläen handelt. Dann nämlich gibt es meist praktische Geschenke wie Fahrräder, Mikrowellen oder Digitalkameras. Ansonsten aber gibt es „eine schöne Flasche“. Als Kind fürchtete ich mich sehr vor dem Moment, an dem ich einmal kein richtiges Geschenk mehr überreicht bekommen würde, sondern „eine schöne Flasche“.  „Wie schlimm muss es sein“, dachte ich mir, „wenn man kein dauerhaftes Präsent mehr bekommt, sondern etwas, was man austrinken und dann entsorgen kann?“ Wir sprechen hier von Zeiten, in denen sich mir die Vorzüge von alkoholischen Getränken noch nicht vollständig erschlossen. Auch diese Jahre hat es einmal gegeben, aber das ist eine andere Geschichte.

Die „schöne Flasche“ unterschied sich allerdings von Jubilar zu Jubilar, von Jubilarin zu Jubilarin. Was Mütter, Tanten, Schwestern und Schwägerinnen bekamen, weiß ich nicht mehr so genau. Vielleicht eine Flasche Wein oder einen Sherry. Für die Väter, Onkel, Brüder und Schwager gab es Schnaps und für die Oma ein Likörchen. Dabei hatte die durchaus eine Vorliebe für härtere Kost. Beispielsweise Cognac im Kaffee oder Rum im Tee, wobei der in beiden Fällen vorgeschobene Teelöffel keinerlei Funktion beim Abmessen der Quantität des Sprits hatte, sondern vielmehr dazu diente, den Vorgang unauffällig vonstatten gehen zu lassen. „Huch“, sagte sie dann und füllte sich die Tasse. Da man aber älteren Damen keinen Schnaps verehrt, bekam sie Likör. Ich erinnere mich beispielsweise an einen sogenannten Mozartlikör, den aber niemand mochte. Meine Mutter bekam irgendwann einmal eine Flasche Danziger Goldwasser geschenkt, deren Inhalt ich aufgrund einer frühkindlichen Vorliebe für glitzernde Dinge sehr anziehend fand. Da hatte ich ja noch keine Ahnung.