ethnografische notizen 236: france 2017/09

Cidre AOC Cornouaille, Quimper Juni 2017

Cidre AOC Cornouaille, Quimper Juni 2017

Auch im doch schon deutlich touristischeren Quimper ist der Sonntagabend gastronomisch ein Problem. Zunächst einmal lässt uns das Internetz im Stich, das uns vorab versichert, der E. Leclerc frais auf der Rue de Stang Bihan habe sonntags ganz sicher bis 19.30 auf. Vor Ort jedoch ist ein vergessener Einkaufswagen der einzige Besucher auf dem Parkplatz. „Schwierig“, sagt auch unsere Vermieterin und runzelt die Stirne, „es gibt eine Superette und bestimmt hat eine Crêperie in der Stadt auf. Die Superette ist ein Carrefour City, der allerdings auch schon geschlossen hat. Aber wir haben Glück im Unglück – am Place au Beurre (nomen est omen) herrscht nicht nur bei einer, sondern gleich bei vier Crêperien noch reger Betrieb. Wir entscheiden uns für Le Corentin, ein wenig am Rand gelegen, schlicht, weil ein handgeschriebenes Schild darauf hinweist, dass die verwendeten Mehle Bio-Qualität haben.

„Möchten Sie in der Sonne sitzen, im Schatten oder doch lieber drinnen. Obwohl, wir haben nicht mehr lange Sonne …“ Eine fröhliche ältere Frau in einem langen Blumenrock nimmt uns in Empfang. Mit dem deutschen Ehepaar am Nachbartisch spricht sie französisch und bemerkt gleich nebenbei, dass sie weiß, dass sie nicht verstanden wird. „I will try my very best English“, sagt sie lachend zu uns und schwenkt zurück ins Französische. „Was möchten Sie trinken? Cidre? Nehmen Sie am besten doch eine ganze Flasche, es ist so heiß heute. Wir haben zwei Sorten. Der eine … naja, wenn Sie mich fragen, der schmeckt ein wenig wie Apfelsaft. Aber das ist nur meine Meinung. Der andere, also der hat so ein bisschen …“ Sie macht ein Geräusch mit der Zunge. „Also der wird ihnen schmecken.“

Wir folgen ihrem Rat und beobachten, wie ein französisches Ehepaar im Restaurant ganz unbekümmert drei herzhafte Crepes hintereinander verzehrt. Pro Person versteht sich. Dann bestellt die Frau noch eine Kugel Eis. Als sie gehen, bekommt ihr Mann noch ein süßes Crêpe auf die Hand. Auf’s Haus. Der kleine pelzige Hund aus dem Café nebenan kommt zu Besuch und bleibt erwartungsvoll schnuppernd vor unserem Tisch stehen. Zwei kleine Mädchen folgen ihm mit ihren Sandalen platschend über das heiße Pflaster.

Die Kellnerin wirft einen wohlwollenden Blick auf die bereits geleerte Cidre-Flasche. „Waren Sie heute am Strand? Sie haben Farbe. Nein? Nicht am Strand? Ich war heute nachmittag am Strand“, sie breitet die Arme zum symbolischen Sonnenbad aus, „wie auf den Bahamas war das! Nehmen Sie noch etwas?“

CRÊPERIE LE CORENTIN | 3 Rue du Sallé | Quimper

ethnografische notizen 230: france 2017/03

La Saint Georges, Rennes, Juni 2017

La Saint Georges, Rennes, Juni 2017

„Hm“, sagt die Dame in der schwarzen Bluse, „eine Reservierung?“ Mit dem Zeigefinger fährt sie die vor ihr liegende Liste auf und ab und der große Anhänger um ihren Hals schaukelt bedenklich hin und her. „Auf welchen Namen noch einmal bitte?“ Ich wiederhole meinen Namen, der Finger fährt rauf und runter und der Anhänger pendelt. Sie schüttelt den Kopf. „Vielleicht auf den Namen unserer Gastgeberin“, werfe ich in den Ring. „Aha“, sagt die Dame erleichtert, „die reserviert immer in unserem anderen Restaurant.“ Sie bittet uns, zu folgen. Kurz darauf stehe ich wieder bei ihr an der Theke, um darauf hinzuweisen, dass der Fehler bei mir liegt. Auf unsere Gastgeberin möchte ich nichts kommen lassen. „Kein Problem“, sagt die Dame und hält ihren Anhänger fest.

Damit haben wir es geschafft, in die berühmte Crêperie La Saint Georges. Und per Zufall sogar ins Stammhaus. Das ist weitaus beieindruckender, als ich erwartet hatte. Keine Floklore, keine alten Apfelkisten, Mehlsäcke oder andere landwirtschaftliche Gerätschaften. Dafür ein hochfloriger anthrazitfarbener Teppich, mit grauem Samt bezogene Sitzmöbel und ausladende Lampen, die an riesige Sonnenhüte erinnern. Auch mit den endlos vergrößerten gelben und blauen Stoffmustern an der Wand, den runden Parabolspiegeln und den kleinen Lüster-Lämpchen auf den Tischen hat sich ein Innenarchitekt mal so richtig ausleben können. Um so überschaubarer wiederum die Karte. Zwei Seiten Galettes – herzhaft aus Buchweizenmehl – und zwei Seiten süße Crêpes aus Weizen. Ich nehme zunächst die Galette de saison mit Artischocke, Kartoffeln, Linsen und Saucisse de Morteau und dann ein Crêpe mit Caramel au beurre salé. Beides ist ebenso schlicht wie großartig. Ende der Durchsage.

Aber noch nicht alle haben genug. Auf den Terrassen der Restaurants entlang des Heimwegs wird noch gegessen und auch die Zeit der Bestellungen ist noch nicht vorbei. Noch eine Weile sitzen wir auf dem Platz vor der Oper und beobachten die an- und abfahrenden Deliveroo-Fahrer. Wie die Mauersegler über den Dächern der Häuser sind sie ständig in Bewegung, halten kurz inne und setzen ihre würfelförnigen, türkisfarbenen Rucksäcke auf die Stufen, um im nächsten Moment wieder aufzuspringen, die Rennradschuhe wieder in die Pedale zu klicken und die Straße rauf oder runter zu fahren.