
Der Besuch von Weingütern oder anderen Produktionsstätten von alkoholischen Traditionsgetränken kostet mich immer ein wenig Überwindung. Nicht, weil ich nicht gerne trinken würde.
WeiterlesenDer Besuch von Weingütern oder anderen Produktionsstätten von alkoholischen Traditionsgetränken kostet mich immer ein wenig Überwindung. Nicht, weil ich nicht gerne trinken würde.
WeiterlesenAuch im doch schon deutlich touristischeren Quimper ist der Sonntagabend gastronomisch ein Problem. Zunächst einmal lässt uns das Internetz im Stich, das uns vorab versichert, der E. Leclerc frais auf der Rue de Stang Bihan habe sonntags ganz sicher bis 19.30 auf. Vor Ort jedoch ist ein vergessener Einkaufswagen der einzige Besucher auf dem Parkplatz. „Schwierig“, sagt auch unsere Vermieterin und runzelt die Stirne, „es gibt eine Superette und bestimmt hat eine Crêperie in der Stadt auf. Die Superette ist ein Carrefour City, der allerdings auch schon geschlossen hat. Aber wir haben Glück im Unglück – am Place au Beurre (nomen est omen) herrscht nicht nur bei einer, sondern gleich bei vier Crêperien noch reger Betrieb. Wir entscheiden uns für Le Corentin, ein wenig am Rand gelegen, schlicht, weil ein handgeschriebenes Schild darauf hinweist, dass die verwendeten Mehle Bio-Qualität haben.
„Möchten Sie in der Sonne sitzen, im Schatten oder doch lieber drinnen. Obwohl, wir haben nicht mehr lange Sonne …“ Eine fröhliche ältere Frau in einem langen Blumenrock nimmt uns in Empfang. Mit dem deutschen Ehepaar am Nachbartisch spricht sie französisch und bemerkt gleich nebenbei, dass sie weiß, dass sie nicht verstanden wird. „I will try my very best English“, sagt sie lachend zu uns und schwenkt zurück ins Französische. „Was möchten Sie trinken? Cidre? Nehmen Sie am besten doch eine ganze Flasche, es ist so heiß heute. Wir haben zwei Sorten. Der eine … naja, wenn Sie mich fragen, der schmeckt ein wenig wie Apfelsaft. Aber das ist nur meine Meinung. Der andere, also der hat so ein bisschen …“ Sie macht ein Geräusch mit der Zunge. „Also der wird ihnen schmecken.“
Wir folgen ihrem Rat und beobachten, wie ein französisches Ehepaar im Restaurant ganz unbekümmert drei herzhafte Crepes hintereinander verzehrt. Pro Person versteht sich. Dann bestellt die Frau noch eine Kugel Eis. Als sie gehen, bekommt ihr Mann noch ein süßes Crêpe auf die Hand. Auf’s Haus. Der kleine pelzige Hund aus dem Café nebenan kommt zu Besuch und bleibt erwartungsvoll schnuppernd vor unserem Tisch stehen. Zwei kleine Mädchen folgen ihm mit ihren Sandalen platschend über das heiße Pflaster.
Die Kellnerin wirft einen wohlwollenden Blick auf die bereits geleerte Cidre-Flasche. „Waren Sie heute am Strand? Sie haben Farbe. Nein? Nicht am Strand? Ich war heute nachmittag am Strand“, sie breitet die Arme zum symbolischen Sonnenbad aus, „wie auf den Bahamas war das! Nehmen Sie noch etwas?“
CRÊPERIE LE CORENTIN | 3 Rue du Sallé | Quimper
Zu jeder ordentlichen Frankreichreise gehört ein weiterer Selbstversuch in Sachen Andouillette. Für die glücklichen Unwissenden: Dabei handelt es sich um eine „saucisse cuite à base de tube digestif de porc dans un boyau“ um es einmal wohlklingend auszudrücken (Kalicky/de la Forest, Les meilleurs produits francais, Vanves 2015). Zu deutsch: Kochwurst aus dem Verdauungstrakt von Schweinen in einem Darm. Das Problem dabei ist – Frankreich liebt seine Andouillette und ich würde so gerne verstehen warum! Seit Jahren schon. Aber jedes Mal, wenn ich wieder einen Versuch starte, ist das Essen gelaufen, weil ich den Geschmack nicht mehr loswerde. Und jedes Mal gibt es danach einen Franzosen oder eine Französin, die dann mit mitleidiger Miene sagen: „Dommage, dann war die wohl nicht gut zubereitet.“ Mehr über mein zwiegespaltenes Verhältnis zu verzehrfähigem Darm an dieser Stelle.
Nun denn, auch in diesem Jahr denke ich wieder „une dernière fois“ und fasse nach der zweiten Tasse Cidre Mut. In der Crêperie Le Roi Gradlon bestelle ich ein Crêpe (interessanterweise sagt man hier in Brest nicht mehr Galette) aus Buchweizenmehl, gefüllt mit Camembert, Kartoffeln und Andouille. Also keine Andouillette, sondern die kleine Schwester, die laut Wikipedia stärker gewürzt ist, wodurch der Eigengeschmack der Innereien weniger im Vordergrund stünde.
Die Crêperie ist offensichtlich ein Familienbetrieb. Maman steht hinter der Crepière, Sohn und Tochter stemmen den Service des an diesem Samstagmittag fast voll belegten kleinen Restaurants. Die Familie neben uns bestellt eine zweite Flasche Cidre, die älteren Herrschaften nach je einem herzhaften und einem süßen Crêpe noch ein Dessert. Der junge Mann bringt unsere Teller. Vorsichtig schneide ich das Paket auf. Kartoffeln und Käse … und dann die typische Struktur der hauchdünn gerollten Innereien. Ebenso vorsichtig führe ich eine erste Gabel zum Mund. Butter, Kartoffeln, Käse … und dann, weit entfernt, der Geschmack von Innereien. Mit Abstand gar nicht mal so schlimm.
Crêperie LE ROI GRADLON | 19 Rue Fautras | Brest
Im Haus meiner Oma durfte ich nicht nur gelegentlich meinen Finger in ein Eierlikörglas tunken, sondern auch, nach dem Rasenmähen, im Sommer ein Glas Cidre trinken. Wenn niemand anders zugegen war sahen wir über die zwei Prozent enthaltenen Alkohols hinweg. Die grüne Flasche hatte damals eine hübsche Darstellung eines Apfelbaums auf dem Etikett und es gab ihn in zwei Sorten – trocken und lieblich. Wobei Oma und ich uns unausgesprochen einig waren, dass eigentlich nur die süffige Variante in Frage kam.
Jahre später erklärte mir ein Cidre-Bauer in der Normandie, die grobe Zusammensetzung seines Getränks, ohne ins Detail zu gehen und mir Geschäftsgeheimnisse zu verraten versteht sich. 20 Prozent saure Äpfel verwende er, 20 Prozent bittere und der Rest seien normale, süße Äpfel. Die bitteren Früchte, so fuhr er fort, während er uns durch den Schuppen mit der Abfüllanlage führte, seien wichtig, da sie dem Cidre das Aroma geben würden. Wie ein langer Wein, dessen Geschmack noch lange auf der Zunge bleibt. Grundsätzlich sei der Geschmack aber von Produzent zu Produzent unterschiedlich, weil die vorhandenen Hefen teils in der Luft, teils auf dem Obst und teils im Gebäude auf ihren Einsatz warten würden. Industriell hergestellter Cidre schmecke hingegen immer gleich, weil er meist aus Apfelsaftkonzentrat, plus Wasser, plus Zucker, plus Hefe, plus Kohlensäure bestehe. Handarbeit spiele nach wie vor eine große Rolle, so der Betreiber des ältesten Bio-Hofs in der Normandie, auch wenn hier und da immer ein bisschen mehr Technik zum Einsatz komme. Stolz zeigte er uns einen neue Anlage zum Aufkleben der Etiketten und seine in Deutschland gebaute Presse. Nach dem Keltern, erläuterte er in mehr als passablem Deutsch, würden die Apfelreste teils auf den Feldern verteilt, teils an die Kühe verfüttert. Letzteres allerdings nur in Maßen, wegen des hohen Zuckergehalts. Das hätte Oma und mir gefallen!
Es ist kaum noch vorstellbar, aber es gab einmal eine Zeit, in der Fruchtliköre und -schnäpse nicht in kleinen Fläschchen verkauft wurde, die man sich während der Karnevalstage als Patronengürtel um die Hüfte schnallen kann. Bei uns auf dem Dorf kam Apfelkorn in ordentlichen Portionen. In richtigen Flaschen, wie sie mitunter auch schon mal im Kühlschrank des örtlichen Pfarrheimes zu finden waren. Dort wurde, anders als in vielen Vereinen, die Jugend nicht zum trinken animiert. Das hielt Jugendgruppenfreund E. und mich aber nicht davon ab, eines Tages herausfinden zu wollen, wie Apfelkorn eigentlich schmeckt. Ich muss an dieser Stelle die Leser und Leserinnen fairerweise darauf hinweisen, dass offensichtlich auch damals schon beträchtliche Mengen alkoholischer Getränke nötig waren, um bei mir eine Wirkung zu zeigen. Es folgte also kein erster Rausch mit entsprechend lustigen Anekdoten und einem üblen Erwachen, sondern lediglich ein ungutes Gefühl. Denn schließlich hatte ich etwas genommen, was nicht mein war. Darin – also in der Animation von Schuldgefühlen – sind katholische Einrichtungen ja traditionell ganz gut. Der Apfelkorn und ich wurden übrigens keine Freunde. Mir wollte sich nicht erschließen, wieso man anstatt eines Getränks, das wie Apfelsaft mit einem unangenehmen Beigeschmack schmeckt, nicht gleich ganz gewöhnlichen Apfelsaft wählt.
Wobei die Kombination von Schnaps und Apfel ja, so sehe ich das heute, durchaus ihren Reiz haben kann. Man denke nur an einen guten Calvados. Vor einigen Jahren stand eine Reise in die Normandie ganz unter dem Thema Apfel und erreichte ihren Höhepunkt in zwei Übernachtungen auf der Domaine Cinq Autels, einem der ersten Biohöfe der Region Pays d’Auge. Dort wird neben Cidre und Calvados auch ein sehr trinkbarer Aperitif namens Pommeau produziert, was zu Deutsch etwa Knauf bedeutet. Dieser besteht aus jungem Calvados und Apfelmost. Eine große Flasche s’il vous plaît!