Zimtsterne und Marzipankartoffeln schon Anfang November? Das vielfach bejammerte Angebot von Weihnachtsgebäck und -süßigkeiten schon weit vor der Adventszeit ist eine simple Frage von Angebot und Nachfrage. Würden alle, die über ein viel zu frühes Erscheinen der Waren in den Läden den Kopf schütteln, wirklich bis zum Advent warten und nicht unter dem Hinweis, dass es ja dann nichts mehr gäbe, doch schon frühzeitig Vorräte anlegen, so wären die Discounter gezwungen, ihre Auslieferungen nach hinten zu verlegen. Aber ein Dominostein im Oktober bedeutet noch keinen Kulturverlust per se. Die Tatsache, dass sich bestimmte Ernährungsmuster aus ihrem ursprünglichen zeitlichen Kontext herauslösen, kein Phänomen einer vollständig von industrieller Nahrungsmittelproduktion bestimmten Gesellschaft – in Aachen werden seit langem ganzjährig Printen, in Nürnberg auch zu Ostern Lebkuchen verkauft.
In gleich mehreren Supermarktketten findet sich in diesen Tagen eine Fertigbackmischung für Butterspritzgebäck, die bei näherer Betrachtung jedoch eine ganz andere Frage aufwirft. „Auf die Plätzchen, fertig, los!“, heißt es auf der Internetseite des Anbieters, „RUF Butter-Spritzgebäck gelingt sicher, so dass man sich ganz aufs Formen und Dekorieren der kleinen Kunstwerke konzentrieren kann.“ Laut Hersteller müssen bei der Zubereitung lediglich 250 Gramm Butter und zwei Eier hinzugefügt werden.
Was bitte, fragt man sich, könnte denn bei Spritzgebäck schief gehen? Nichts wäre auch für Back-Laien einfacher zu korrigieren als ein zu fester oder zu weicher Teig. Das „Spritzen“ des Gebäcks mit dem Fleischwolf ist darüber hinaus durch seine quasi unendliche Wiederholbarkeit ein ideales Übungsfeld. Ein Blick auf ein Nachkriegs-Familienrezept zeigt mit Mehl, Zucker, Butter, Eier, Backpulver und Vanillzucker (sic!) nahezu identische Inhaltsstoffe. Vom einen oder anderen überflüssigen Zusatzstoff einmal abgesehen. Worin liegt also der Mehrwert der Backmischung? In der bloßen Tatsache dass ich Mehl und Backpulver, Zucker und Vanillinzucker nicht mehr selbst mischen muss?
Die Antwort findet sich nicht in der Zubereitung, in keiner Arbeitserleichterung, nicht in den Zutaten und damit auch nicht im Geschmack. Der Kauf einer ansprechend bunten Verpackung inklusiv dem Erfolgsversprechen entspricht dem Erwerb einer Idee. Der Einfall, dass man ja eigentlich auch mal wieder Spritzgebäck machen könnte. Das hierfür ein Supermarkt notwendig ist, darin liegt die eigentliche Verarmung.