soulfood düren – #006

Düren. Ich mache mich auf die Suche nach den kulinarischen Vorlieben, Erinnerungen und Gewohnheiten dieser Stadt mit deutschem Durchschnitt. Zwischen Köln und Aachen, zwischen hier und da. Ungeliebte Stadt, weggebombt und Annakirmes, Underdog, Papier. Reden wir drüber, denn sprechen über Essen und Trinken heißt sprechen über das Leben, die Liebe und die Stadt …

Dürener Zeitung, 14. Dezember 1946

Dürener Zeitung, 14. Dezember 1946

 

Dürener Tafel

Auf dem Weg zur Ausgabestelle laufe ich einmal im Kreis. Das Smartphone schickt mich schließlich am Posthotel in eine schmale Gasse und dann über einen Parkplatz. „Kommt da noch was?“, frage ich mich. Dann begegnet mir eine ältere Frau, die ihre schwer bepackte Einkaufstasche abstellen muss, um zu verschnaufen. Am Ende des Platzes, vor einem schlichten, eingeschossigen Gebäude, wartet bereits eine lange Schlange. Durch die mattierten Scheiben kann man nicht hineinschauen. Die Türe geht auf, ein paar Leute kommen raus und einige aus der Schlange gehen hinein. Als ich näherkomme, überlege ich, wie ich das jetzt mache, ohne das Regelsystem zu brechen. Optisch unterscheide ich mich nicht unbedingt von den Wartenden, mein Dufflecoat ist Second Hand und schon einige Jahre alt und meine Turnschuhe haben auch schon bessere Zeiten gesehen. „Entschuldigung“, sage ich zu den Leuten direkt am Eingang, „ich möchte nicht einkaufen, ich habe einen Termin.“ Ein älterer Mann lächelt mich an und hält mir die Türe auf.

Hinter hüfthohen Metalltischen stehen Frauen in orangefarbenen Schürzen und geben die Waren an die Kunden aus, die auf der anderen Seite warten, bis sie an der Reihe sind. Eine ältere Dame schaut mich fragend an. „Ich habe einen Termin mit Frau Becker“, sage ich, „wo finde ich die?“ „Oh“, sagt die Dame, „da müssen wir mal fragen.“ Sie wendet sich an ihre Nachbarin. „Weißt du, wo die Edith ist?“. „Hier bin ich“, ruft eine Stimme aus dem mit Jalousien abgeteilten Ende des Raums. Frau Becker kommt um die Ecke und zeigt mir, dass ich einmal um die Ausgabe herumgehen soll. „Das ist die Dürener Tafel“, sagt sie und für einen kurzen Augenblick betrachten wir die Warenausgabe, „wir können uns aber auch hinsetzen.“ Ich folge ihr und wir nehmen an einem großen Tisch Platz. „Das hier räumen wir einfach zur Seite“, sagt sie, schiebt Teller, Tassen und Brötchen ein Stück weiter und schaut mich erwartungsvoll an. Ich nehme Notizbuch und Stift aus meiner Tasche und stelle die ersten Fragen.

Wie sie zur Arbeit bei der Tafel gekommen ist, möchte ich wissen. „Wie?“, Frau Becker lacht, „eine Bekannte hat mich gefragt, ob ich nicht mal mitkommen möchte. Und dann bin ich halt dabei geblieben.“ Das war vor fünfzehn Jahren. Mittlerweile ist sie Vorstandsvorsitzende und verantwortlich für die Koordination von insgesamt rund 90 ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen, von denen die Älteste stolze 81 Jahre alt ist. „Und die jungen Leute?“, frage ich. „Die jungen Leute sind wir“, witzelt ein älterer Herr, der am Tisch mit einer Kollegin ein Brötchen isst. Wir lachen und mir wird erklärt, dass es manchmal zwar Praktikant*innen gebe, aber kaum langfristiges Engagement von jüngeren Menschen. „Die haben da kaum noch Zeit für“, sagt Frau Becker und schaut auf die Bilder auf dem Einsatzplan. „Hier, die Nadine, die ist 35. Das ist unsere Jüngste.“

Im Hintergrund hört man das Klappern von Kisten. Durch die Sichtblenden sehe ich einzelne Kunden bei der Abrechnung. Das Handy klingelt und Frau Becke geht ran. Sie trägt eine elegante graue Strickjacke, einen Rock und kniehohe Stiefel. Tatkräftig wirkt sie. Mittwochs ist sie hier vor Ort, um die Neuanmeldungen entgegen zu nehmen, ansonsten telefoniert sie jeden Morgen mit den jeweiligen Einsatzleitern. Sie beendet das Gespräch. „Heinz“, sagt sie zu einem Mitarbeiter, der sich gerade verabschiedet, „ich wollte noch was fragen.“

Ich betrachte die Stellwand mit der Wochenplanung. Nichts scheint hier dem Zufall überlassen. Geht vermutlich auch nicht anders bei 2.000 registrierten Kunden und rund 100 Familien am Tag. „Am Monatsende werden das auch mal ein paar mehr“, erklärt Frau Becker. Eine Kollegin drückt ihr einen 20-Euro-Schein in die Hand. „Von einer unbekannten Frau auf dem Markt.“ „Was gibt es denn heute so?“, frage ich. „Rewe-Tüten“, sagt Frau Becker, „die konnte man im November im Laden kaufen. Für fünf Euro das Stück.“ Über 1.000 davon stehen jetzt im Keller der Dürener Tafel und werden nach und nach ausgegeben. Pfefferminztee, Reis, Spaghetti, Tomatenketchup und Kekse. Neben der Zusammenarbeit mit Rewe gibt es auch Kooperationen mit Aldi, Lidl, Penny, Netto und Edeka. „Habe ich jetzt alle?“, fragt sich Frau Becker und zählt noch einmal durch. „Real“, ergänzt der Mann am Tisch und die Bäckereien.“ „Genau, zehn Bäckereien und zwei Metzger.“ In gut einem Monat steht die nächste großer Aktion an – die Weihnachtspakete, die in der Arena Düren ausgegeben werden. „In guten Jahren hatten wir schon 1.400 Pakete. Es wäre schön, wenn wir diesmal 600 Pakete gespendet bekommen. Dann könnten alle unsere Kunden ein Paket erhalten.“

Nach einer knappen halben Stunde will ich den Geschäftsgang nicht weiter stören und mache mich wieder auf. Als ich auf die Straße trete schaut mich die ältere Dame an der Spitze der Schlange prüfend an. Bin ich Kunde oder Besucher? „Hallo, bittescheen“, wird sie von einer Frau ein paar Plätze dahinter ermahnt, „gehen sie mal rein, bittescheen.“


 

Dürener Tafel e.V.

300 Quadratmeter stehen der Dürener Tafel zur Verfügung. Geöffnet ist jeweils montags und dienstags, sowie donnerstags und freitags von 14.00 bis 16.00 Uhr. Mittwochs wird an Kunden geliefert, die nicht mehr mobil sind und samstags können diejenigen kommen, die unter der Woche arbeiten müssen. Die regulären Kund*innen kommen wöchentlich nach einem ausgeklügelten System, zugeteilt nach Anfangsbuchstabe des Nachnamens mit rotierendem Zeitfenster. Für Haushalte von einer oder zwei Personen kostet der Einkauf pauschal € 1,50, drei bis vier Personen zahlen € 2,- und ab fünf Personen sind € 2,50 fällig. Neben der direkten Ausgabe von Lebensmitteln beliefert die Dürener Tafel 13 Kindergärten und acht Jugendtreffs mit Obst und Gemüse. In Deutschland gibt es rund 920 Tafeln.

www.duerener-tafel.de