ethnografische notizen 291: frankreich 2021 (11/14)

Déjeuner in Brest, 09/2021

Der wiederholte Besuch von Städten oder Regionen ist für mich oft um einiges entspannter. Ich habe nicht mehr das Gefühl, alles sehen zu müssen und nichts verpassen zu dürfen. Ich gehe mit ein wenig mehr Gelassenheit an die Sache, weil die Entdeckung ja schon gemacht ist.

Als wir zum zweiten Mal in Brest ankommen folgen wir dem blauen, auf dem Stadtplan vorgegeben Weg entlang der Sehenswürdigkeiten. Auch hier scheint die Tour de France durchgekommen zu sein, wie ein auf dem Pflaster übrig gebliebenes, aufgemaltes gelbes Trikot erahnen lässt. Zunächst denke ich an Doping und dann an Champagner. Es ist schließlich schon 11:54 Uhr und wir befinden uns somit mitten in der Aperitifzeit. Wobei ich mir gelegentlich die Frage stelle, was eigentlich wirklich drin ist in den Flaschen, mit denen sich die Herren nach dem Sieg gegenseitig vollspritzen. Wirklich Schaumwein à la méthode champenoise? Und wenn ja, in welcher Qualität? 

Aber an diesem Mittag in Brest geht es nicht so sehr um alkoholische Getränke, sondern vielmehr um ein einfaches Mittagessen. Wie beim ersten Besuch schon, tun wir uns aber schwer, eine Bäckerei zu finden. Google schickt uns hin und her, vor und zurück. Es gibt kaum belastbare gastronomische Einträge und vermutlich einfach viel zu wenig User*innen. Wer sollte hier auch im Internet nach einer Bäckerei suchen? Die betagte Reisegruppe aus Baden-Württemberg vor dem Office du Tourisme vielleicht?

Letztendlich finden wir auf gut Glück und in einer unscheinbaren Seitenstraße eine elegante Boulangerie-Pâtisserie namens „Mademoiselle Chou“. Hier kaufen wir ein gutes Sandwich mit Bressaola, Rucola und Parmesan und einen Wrap mit Huhn. Als P. eine Rosinenschnecke dazubestellt, fragt mich der freundliche junge Verkäufer mit den rosa-blondierten Haaren kokett, ob es vielleicht auch eine für mich sein dürfe.

Wir verabreden uns am Platz vor der Brücke, weil ich im Carrefour City noch schnell einen Flasche Wasser und eine sehr saftige französische Birne kaufen gehe. Wir verzehren unseren Lunch mit Blick auf den Hafen. Um uns herum viele, vor allem jüngere Leute, die den Inhalt ihrer braunen Papiertüten irgendwo in der näheren Umgebung gekauft zu haben scheinen. Die älteren Einheimischen sitzen im Restaurant, wo sonst? Eigentlich wird bei allen Mahlzeiten deutlich, dass Frankreich kulinarisch anders tickt, aber beim Mittagessen ist es um so ersichtlicher. Während man in Deutschland in die Kantine geht oder mit den mitgebrachten Butterbroten vor dem Rechner sitzen bleibt, füllen sich hier um die Mittagszeit die Lokale, denn Essen bekommt man bis maximal 14 Uhr. Hier in Brest kann man das gut beobachten, eben weil es kaum Tourist*innen gibt.

Nach dem Lunch laufen wir hinauf zu den Ateliers des Capucins, dem geräumigen Kulturzentrum, bewundern das Canot de l’Empereur, die vergoldete Barke Napoleons, und fahren anschließend in einer Gondel der Téléphérique wieder zurück in die Stadt, um eines meiner persönlichen Highlights der Stadt zu besuchen – die Librairie Dialogues. Der in das postmoderne Stadtbild eingepasste mehrstöckige Buchladen ist vermutlich der größte, der mir je (abseits der Hauptstadt naturelement) im nicht besonders Buchladen-reichen Frankreich untergekommen ist. Auch bei diesem Besuch bin ich überwältigt vom Angebot, kaufe aber letztendlich nur eine aktuelle Frankreichkarte und ein Buch über die Küchen von Marseille. Mitunter ist der zweite Besuch eben entspannter.

Mademoiselle Chou
33 Rue d’Aiguillon

Librairie Dialogues
Parvis Marie Paul Kermarec
librairiedialogues.fr

Vérane Frediani
Marseille cuisine le Monde
Marseille par les marseillais en 75 recettes

Paris 2021