
Der Besuch von Weingütern oder anderen Produktionsstätten von alkoholischen Traditionsgetränken kostet mich immer ein wenig Überwindung. Nicht, weil ich nicht gerne trinken würde.
Das Problem liegt vielmehr in einer diffusen Angst, keine Ahnung von den Dingen zu haben. Grundsätzlich bin ich dann doch eher ein F&B-Allrounder.
In der Bretagne aber, beim Cidre, liegt meine Hemmschwelle deutlich niedriger. Vielleicht, weil es keine Cidre-Expert*innen in meiner näheren Umgebung gibt und das Getränk bei uns – nun ja – nicht wirklich ernst genommen wird. Wohingegen es in Frankreich eine durchaus nationale Relevanz haben kann. Aber ich will nicht vorgreifen.
Auf dem Weg nach Roscoff passieren wir mehrere Schilder mit Hinweisen auf den Cidreverkauf ab Hersteller. Auf der Rückfahrt machen wir uns lustig über die an die Briten gerichteten Hinweise, rechts zu fahren. Dann folgen wir der ersten Tafel, die verspricht, uns zu einem Produzenten zu bringen. Wir kommen in einen kleinen Ort namens Guimaëc und wieder hinaus, über enger werdende Straßen und gelangen – wie so oft, wenn man in der französischen Provinz unterwegs ist – an den Punkt, an dem man denkt, dass man sich auf jeden Fall verfahren hat.
Aber die Hauptstadt ist nie weit. Dass man den Elyseepalast in Paris beliefere, lese ich auf einem Schild auf dem Parkplatz der am Ende des Feldwegs gelegenen Domaine de Kervéguen. Die Ausmaße lassen erahnen, dass hier während der Saison viel los ist. Am heutigen Montag aber sind wir die einzigen Besucher, was ich zunächst ein wenig bedauere. In einem urigen Empfangsraum bekommen wir ein erstes Glas zur Degustation gereicht und werden aufgefordert, die Produktion auf eigene Faust zu besichtigen. Wir spazieren durch die langgestreckten Keller und lesen ein bisschen was über das Handwerk. Nachdem wir sowohl die Obstwiesen als auch den Taubenschlag aus dem 11. Jahrhundert hinter dem Hof besichtigt haben, verkosten wir zwei weitere Gläser und beenden den Besuch mit dem Kauf von sechs Flaschen – darunter die Sorte „Carpe Diem“, der Favorit des ehemaligen Staatspräsidenten Jacques Chirac.
Erst jetzt fällt mir auf, dass es sich um die gleiche Domaine handelt, deren Flaschen beim Mittagessen auch auf der Karte der Crêperie in Roscoff standen. Ein Hoch auf die Handyfotos, die ich gelegentlich von Speisekarten machen (eine schwierig abzugewöhnende Restauranttesterangewohnheit).
Während P. bezahlt, werfe ich einen interessierten Blick auf die ebenfalls zum Verkauf angebotenen Cidretassen aus blauer Keramik, den die Frau hinter der Theke schlicht ignoriert. So, als wisse sie bereits, dass ich doch keine davon kaufen werde. Auf einem kleinen Tisch darunter liegt ein Buch über die 2015 mit dem Fernsehsender ARTE produziert Serie „À pleines dents!“, zu Deutsch: „Schlemmen mit Gérard Depardieu“.
„Von dem ehemaligen Piratennest Roscoff geht es mit dem Fischkutter hinaus auf Hummerjagd“, lese ich später über die erste Folge der Serie. „Bei ihrer Rückkehr besuchen Gérard Depardieu und Laurent Audiot den Cidre-Produzenten Eric Baron von der Domaine de Kervéguen.“
„Gérard Depardieu ist nicht nur Schauspieler, sondern auch Feinschmecker“, heißt es in der Produktbeschreibung bei Amazon. „Gemeinsam mit Laurent Audiot, dem Chefkoch seines Pariser Gourmettempels „La Fontaine Gaillon“ geht er auf eine kulinarische Entdeckungsreise quer durch Europa.“ Manchmal ist es doch schöner, einen leeren Parkplatz am Ende des Feldwegs zu finden.