ethnografische notizen 276: köln in zeiten von corona

An dieser Stelle erzählen normalerweise Kölner Gastronom*innen wie es ihnen gerade geht. Die gleichen drei Fragen habe ich diesmal einem Kollegen gestellt.

Interview mit Carsten Henn, Journalist und Autor

Carsten Henn, Journalist & Autor, Köln (Foto: Mirko Polo)

Der Chefredakteur der deutschen VINUM-Ausgabe und Gastrokritiker des Kölner Stadtanzeigers ist kein Gastronom, die Schließung der Restaurants betrifft ihn aber sowohl beruflich als auch privat.

1. Wie war das, als die Läden zugemacht haben?

Es war, wie die Kanzlerin sagen würde, alternativlos, meine Restaurant-Kolumne im Kölner Stadt-Anzeiger auszusetzen, solange niemand in Restaurants essen gehen kann. Ich hatte zwar schon einige Restaurants „auf Vorrat“ getestet, die werde ich nach der Krise, falls sie dann noch existieren, aber erneut besuchen. Vieles wird sich ändern. Manches muss sich ändern.

Beim Stadt-Anzeiger hat man direkt nach einer Lösung gesucht, wie weiter über die Kölner Gastro-Szene berichtet werden kann. Und so stelle ich jetzt alle zwei Wochen Kölner Köch*innen und ihre Lebensgeschichte vor, dazu gibt es ein Rezept zum Nachkochen. Julia Komp machte den Anfang, dann folgte Cristiano Rienzner, als nächstes kommt Jaspreet Dhaliwal-Wilmes. Menschen, die viel zu erzählen haben!

„Den Laden zumachen“ musste ich allerdings auch in einem anderen Bereich. Am 10. März ist mein neuer kulinarischer Kriminalroman „Der Gin des Lebens“ im DuMont-Buchverlag erschienen, auf der Leipziger Buchmesse sollte die Lese-Tournee starten. Daraus wurde dann natürlich nichts. Aktuell sind über 20 Lesungen abgesagt, und es werden wöchentlich mehr. Dass Künstler die vom Staat zugesagten Unterstützungen nicht erhalten ist ja mittlerweile ein offenes Geheimnis. Umso glücklicher bin ich, dass das Buch trotz Krise innerhalb eines Monats schon in die dritte Auflage gegangen ist. Ein dickes Dankeschön dafür an meine treue Leserschaft. Bei Autoren ist es wie bei Köchen: die Stammkundschaft ist das Wichtigste.

2. Was machst du gerade?

Auf meinen digitalen Kanälen bei Instagram und Facebook stelle ich jetzt Take-Away- und Delivery-Konzepte von Kölner Spitzenrestaurants vor. Das hat nichts mit Restaurant-Kritik zu tun, das verbietet sich in einer Situation wie der aktuellen. Wer erwartet, dass ein 2-Sterne-Restaurant auch Take-Away in 2-Sterne-Qualität liefert, der weiß nichts über die Arbeit in Fine-Food-Küchen.

Als Gast kann und sollte man die Restaurants, in denen man über die Jahre viele glückliche Stunden verbracht hat, jetzt unterstützen, indem man dort Essen ordert. Das gleicht zwar bei weitem nicht die Ausfälle oder Verluste der Gastronomen aus, aber es ist besser als nichts, und die Köche können endlich wieder am Herd stehen. Was ich von denen nämlich immer wieder höre ist: ihnen fiel zuhause die Decke auf den Kopf und ihnen fehlte einfach das Kochen.

Es ist mir sehr wichtig, den Köchen mit diesen Beiträgen jetzt meine Solidarität zu zeigen und ein bisschen die Werbetrommel für sie zu rühren. Als Restaurant-Kritiker bin ich zwar der Anwalt der Gäste, aber es bleibt nicht aus, dass man als leidenschaftlicher Esser die Köchinnen und Köche auch als Menschen schätzen lernt. Ich wünsche jedem, der sein Handwerk mit Herz und Kunstfertigkeit ausführt, dass er diese Krise überlebt. Ein Verlust an Restaurants, in denen stilistisch eigenständig gekocht wird, wäre eine kulturelle Verarmung Kölns.

Interessant ist zu sehen, wie sich die die Take-Away- und Delivery-Konzepte unterscheiden und entwickeln. Das ist eine Entwicklung im Zeitraffer, und aus dem kulinarischen Blickwinkel betrachtet ist es spannend sich zu fragen, was in diesem Bereich kulinarisch überhaupt möglich und sinnvoll ist. Ich bewundere zum Beispiel, wie das „Ox & Klee“ versucht die Kleinteiligkeit ihrer Küche umzusetzen, wie das „Le Moissonnier“ sich in einen Feinkost-Vertrieb verwandelt hat, wie mit dem „MaiBeck“ und dem „Caruso“ plötzlich zwei Restaurants zusammenfinden, dass es ein Restaurant wie das „Maximilian Lorenz“ logistisch schafft in einem Umkreis von sagenhaften 20 Kilometern rund um Köln auszuliefern oder dass das Pure White sein Essen auf echtem Geschirr ausliefert und dieses wieder abholt. Toll finde ich auch Luis Dias, der tatsächlich erst anfängt das Vorbestellte zu kochen, wenn man im Restaurant eintrifft, damit man das Essen so frisch wie irgend möglich bekommt. Chapeau vor so viel Einfallsreichtum und Energie! Freunde aus ländlicheren Gebieten beneiden mich sehr um die aktive, kulinarische Szene in Köln.

Schriftstellerisch sitze ich gerade an meinem neuen Roman „Der Buchspazierer“, der im November im Piper-Verlag erscheinen soll. Es geht um die Bedeutung und das Verbindende von Büchern. Durch die Corona-Krise hat das Buch eine Aktualität gewonnen, die gar nicht geplant war. Vielen wird in der Krise der Wert einer örtlichen Buchhandlung im Gegensatz zu großen Versendern erst richtig bewusst. Es wäre echt schön, wenn das nach der Krise so bliebe.

3. Was wirst du als erstes machen, wenn die Krise vorbei ist?

Essen gehen! Mit Freunden! Das Verbindende eines guten, gemeinsam eingenommenen Essens, das Teilen von kulinarischem Glück, das kollektive Hinübergleiten in einen gepflegten, kleinen Rausch, das geht mir enorm ab. Ich will mit anderen über Essen quatschen, mit Sommelieren und Sommeliers über neue Weine fachsimpeln. Wenn ich jetzt meine alten Restaurant-Kritiken lese befällt mich ein Phantomschmerz, der immer stärker wird: so gerne ich koche und zuhause esse, ich will wieder in Restaurants.

Und ich glaube, dass es vielen anderen Rheinländern genauso geht. Wir sind ein kommunikatives, feierwütiges Völkchen, wir können schlecht allein sein. Das macht mir auch Hoffnung, dass die Restaurants nach Öffnung nicht leer bleiben werden. Die Kölnerinnen und Kölner werden kommen!