Die erste Lieferung ist eingetroffen. Weil Jan und Tobi aber am Nachmittag nicht mehr im Laden sind, bekomme ich das Fleisch von Johannes erklärt. Der ist eigentlich gerade dabei, ein ganzes Blech Forellen zu bearbeiten. Ich sehe ihm zu, wie er die Filets herausschneidet und die gepunktete Haut abzieht. Die Köpfe der Fische glotzen mich an, so als wären sie immer noch überrascht, gerade abgetrennt worden zu sein. „Unser Formel 1 willst du sehen“, sagt Johannes und meint damit wohl das F1 vom Rind. Ich nehme mir vor, zuhause noch einmal nachzulesen, was genau F1 eigentlich bedeutet.
Der Koch geht in den Keller und kommt mit zwei roten Kisten wieder nach oben. Mir dämmert, dass das Fleisch nur für mich nach oben geholt wird. In den Plastikboxen liegen die Teile, die nicht reifen und eher schnell verarbeitet werden müssen. Manche Stücke sind eingeschweißt und beschriftet, manche stecken in offenen Plastiktüten. „Klassisches Bratenstück, Schwanz, Schulterscherzel, Bauchspitzen“, sagt Johannes, „die erste Hälfte ist schon verarbeitet, die andere Hälfte noch am Stück.“ In der Küche steht ein Gastronorm-Blech mit dunkel gerösteten Knochen – dicke Röhren und kantig gesägte Brocken, die wohl in die Soße gehen werden. Johannes wuchtet das Bruststück auf die Arbeitsplatte und plötzlich ist alles mit Rind bedeckt. Den schon etwas verlaufenen blauen Stempel des Veterinärs erkenne ich wieder. Er legt die Stücke anatomisch korrekt nebenaneinander, um mir besser erklären zu können, was wo eigentlich herkommt. Mit dem Finger fährt er über das Fleisch, erläutert das erste Lagerfett und die Sehnen. „Die bekommst du kaum durchgeschnitten“, sagt er. Sein Schwiegervater sei früher mal Metzger gewesen, erzählt er und er selber habe seine Ausbildung in einem Restaurant gegenüber von einer Fleischerei gemacht. „Da sind wir immer direkt runter in den Keller, um unsere Sachen zu holen.“ Er zeigt auf die Stelle, an der die Rippen herausgeschnitten wurden. „Das hier ist richtige Metzgersprache.“ Die Leerstellen erinnern ein bisschen an die Kiemen der Fische von vorhin. Johannes lacht. „Die schneiden da einfach rein, wir Köche versuchen ja immer so nah wie möglich am Knochen zu bleiben.“ An der Seite ist ein wenig Marmorierung erkennbar, die noch sehr verhalten daran erinnert, dass wir hier ein Wagyu-F1 vor uns haben. „Das kommt noch im Rückenstück“, sagt Johannes. Das aber wird noch mindestens zwei Wochen im Kühlhaus im Bergischen reifen. „Und“, frage ich Gunnar, der von seinem Posten herüberkommt, um zu gucken, „erkennst du es wieder?“ „Die Farbe hat sich verändert“, antwortet der Azubi. In der Tat ist das frische Blutrot ins bräunlich-violette nachgedunkelt.
Wir gehen zusammen in den Keller, um die Kisten wieder im Kühlhaus zu verstauen. Johannes hält eine große Tüte mit Flüssigkeit hoch. Die Backen im Pökelsud sehen noch so aus wie vor anderthalb Wochen, vielleicht ein bisschen heller und wirken in diesem Zustand wirklich klein. Dann gibt es noch die Rippen. Dass die Hohe Rippe fleischiger sei, lerne ich, das hier seien die Short Ribs oder die Querrippe. „Die haben wir einmal ganz normal geschmort und einmal trocken geschoben mit dem Rub vom Schulterscherzel, mit Paprika, Oregano, Chili und Pfeffer von Hennes. Das wird lecker! Wenn die fertig sind, muss Jan dir Bescheid geben.“ Ich nehme das schwere, dichte Paket in die Hand. Dass die Rippen rausgenommen sind, kann man in diesem Fall im vakuumierten Zustand nicht mehr erkennen. „Was macht ihr denn damit?“, will ich wissen. „Keine Ahnung“, sagt Johannes, „ich bin doch schon froh, wenn ich weiß, was ich heute Abend kochen soll. Als Personalessen gibt es heute aber Pizza. Das wäre auch mal einen Bericht wert.“