soulfood düren – #004

Düren. Ich mache mich auf die Suche nach den kulinarischen Vorlieben, Erinnerungen und Gewohnheiten dieser Stadt mit deutschem Durchschnitt. Zwischen Köln und Aachen, zwischen hier und da. Ungeliebte Stadt, weggebombt und Annakirmes, Underdog, Papier. Reden wir drüber, denn sprechen über Essen und Trinken heißt sprechen über das Leben, die Liebe und die Stadt …

Café an St. Anna, Düren, Oktober 2016

Café an St. Anna, Düren, Oktober 2016

Café an St. Anna

Ein paar Jugendliche spielen Fußball am Haus der Stadt. Mit voller Kraft und nicht ohne Talent schießen sie den Ball gegen die Backsteinmauer. Zwei von ihnen gehen vor mir durch die Bahnunterführung. Schwarze Lederjacken, Trainingshosen, die Sporttaschen lässig über die Schulter gehängt. „Du hast mein Vertrauen so derbe gefickt, Alter“, sagt der größere von beiden zu seinem Kumpel. „Ich weiß“, sagt der etwas kleinlaut, „ich entschuldige mich.“ „Dermaßen derbe“, wiederholt der andere. Aber so schlimm scheint es dann doch nicht zu sein. Irgendwie einmütig ziehen die beiden Richtung Supermarkt. Ich hingegen mache mich auf der Suche nach dem Café, dass ich beim letzten Besuch gesehen habe. Es gibt keine Internetseite und der Ort wird mir auch nicht auf dem Smartphone angezeigt. Ich muss mich also ganz auf meine Intuition verlassen. Irgendwo an der Annakirche.

„Von 8.00 bis 17.00 Uhr sind wir für Sie da“, lese ich im Schaufenster. Jetzt ist schon 15.30 und nicht mehr besonders viel Auswahl in der Kuchentheke. Vernünftig, denke ich, hier wird vernünftig kalkuliert. „Sie können sich ruhig hier hinsetzen“, sagt die Bedienung, „das ist für morgen früh, die Reservierung.“ Ich nehme Platz und schaue hinaus auf die Straße. Unter ordentlichen Gardinen, die in Wellenform gerade so hoch hängen, dass man bequem darunter durch blicken kann. Drinnen tragen die anwesenden älteren Damen ärmellose Westen über ihren Pullovern und Blusen. Solche, wie meine Mutter sie auch gerne hat. „Frollein, kann ich gleich zahlen“, sagt eine der Damen. Die an der Garderobe aufgehängten Jacken dominieren in Beige- und Rosétönen. Die Bedienung bringt mir das letzte Stück Käsekuchen. Sehr kompakt ist der, so wie ich ihn am liebsten mag. Nix fluffig und locker, schwer und gehaltvoll muss ein Käsekuchen sein. Außer mir ist noch ein weiterer Herr anwesend, der seiner Frau gerade die Entstehung von Grünspan erläutert. Gemeinsam sitzen sie unter einer kleinen Straßenlaterne, die mit kleinen Drachen herbstlich geschmückt ist. Im Schaufenster hängt eine Brezelgirlande und weißblaue Fähnchen. Reste vom Oktoberfest.

Das Telefon klingelt und die zweite Dame hinter der Theke geht an den Apparat.

„Café an St. Anna …“ Sie hört aufmerksam zu. „Ach du Schande“, sagt sie in den Hörer und „Schüsse in Düren“ etwas lauter in den Gastraum hinein. „Beim Friseur waren die drin“, sagt die Dame unter der Straßenlaterne und ich frage mich, woher sie so früh schon so gut Bescheid weiß. „Ich hätte noch gerne eine Tasse Kaffee“, schiebt sie hinterher. Die WMF-Kaffeemaschine reinigt sich selbst. Auf der Fensterbank liegen goldener Tüll und diverse Deko-Objekte, darunter ein Telefon in grünlicher Jade-Optik, ein Tonkrug und ein künstlicher Buchsbaum. Der Mittagstisch wäre heute Krustenbraten gewesen, mit Püree und Sauerkraut für € 8,90, die Seniorenportion für € 5,90. Im Hintergrund dudelt ein lokaler Radiosender „Wind of Change“ von den Scorpions.

Eine neue Dame, ganz in Beige bis auf die schwarzen Querstreifen auf ihrem Pullover kommt und bestellt gleichfarbigen Kuchen. Nuss-Sahne würde ich tippen. Sie bekommt ein riesiges Stück mit einer hübschen Creme-Rosette obenauf. Meine Bedienung trinkt hinter der Kasse einen Schluck Kaffee im Stehen. Bald ist Feierabend. Ich blicke aus dem Fenster. Gegenüber ein Friseur mit der Botschaft: „Dein Haar ist unsere Bühne“. Außerdem ein Sonnenstudio und ein Textilgeschäft. Die Bedienung kassiert die beigefarbene Dame. „Das war aber ein großes Stück“, sagt die, „aber lecker!“ „Muss auch mal sein“, sagt die Bedienung. Als sie an meinen Tisch kommt, frage ich sie, woher der Kuchen kommt. Von Flohsdorf und von Beys, werde ich informiert. Sie blickt auf meinen leeren Teller. „Der Beys ist in Lendersdorf, der macht den Käsekuchen. Der schmeckt!“